Rezensionen / Presse zu «Zwerge sprengen»
Neue Zürcher Zeitung / Bettina Spoerri, 25. März 2010
Die Familie Schöni frönt einem seltsamen Hobby: Einmal im Jahr kommen alle zusammen, um selbstpräparierte Gartenzwerge zu sprengen. Da züngelt sich das Feuer die Zündschnur entlang, es raucht und zischt, knallt und böllert, bis alle die Zipfelbemützten mit ihren runden Bäuchen und ihrem eingefrorenen Lächeln in tausend Stücke auseinandergejagt sind. Eine unkonventionelle Familie mit einem gewissen Hang zur Anarchie, könnte man aufgrund dieses Rituals schliessen – doch das täuscht. Das explosive Spiel, einmal jährlich im Emmentaler Pfarrhaus-Garten der Eltern beziehungsweise Grosseltern abgehalten, dient lediglich als Ersatzhandlung. Denn die Schönis halten Konflikte gerne unter dem Deckel und täuschen lieber so lange wie möglich harmonische Verhältnisse vor. Selbst wenn dabei alle dauerhaft unglücklich sind.
Vermeintliche Idylle
Christof Schertenleib zeichnet in seinem neuen Spielfilm «Zwerge sprengen» das psychische Diagramm einer Gemeinschaft, die im System einer erstickenden Scheinloyalität erstarrt ist. Umso heftiger sind die Kräfte, die sie, mühsam unterdrückt, auseinandertreiben. Im Zentrum steht das erwachsene Brüderpaar Hannes und Thomas, gespielt von Michael Neuenschwander und Max Gertsch, die ein spannendes, facettenreiches Duo bilden. Während sich der eine risikosüchtig von einem Investmentgeschäft zum nächsten hangelt und seine Besuche im Elternhaus auf Stippvisiten zu reduzieren versucht, droht die Ehe des anderen (Gertsch), der im Emmental geblieben ist, an seiner wachsenden Unzufriedenheit zu scheitern.
Was sonst noch alles in dieser Familie Schöni beschönigt wird, kommt zum Vorschein, als Hannes seine neueste Flugzeugbekanntschaft Agat (Doro Müggler) zu dem eigentlich so ganz und gar unfröhlichen Zwerge-Töten einlädt. Wie Agat stört auch andere Frauen die vermeintliche Idylle: Die abwesende Tochter gilt als das schwarze Schaf, überzählig ist die Geliebte des Familienvaters (Urs Bihler), und schliesslich bringt eine Freundin aus der Jugendzeit (Sara Capretti) gleich beide Schöni-Söhne aus dem Takt.
Pointierte Dialoge
Wenn auch die psychologische Konstruktion der Figurenanlage anfänglich eher durchsichtig ist, so folgt man Regisseur Schertenleib – er war auch beim Drehbuch federführend – doch gerne in dieses zunehmend komplexere Geflecht von Figuren, denn diese entfalten bald glaubwürdige Ambivalenzen, wie man das in Schweizer Spielfilmen in letzter Zeit nur selten erleben durfte. Durchatmen lassen auch die pointierten Dialoge, in denen ein Schöni sich selbst oder dem anderen etwas vorzumachen versucht. Und oft ist es allein die Choreografie der Blicke, die zeigt, wie da jeder jeden belauert und kontrolliert. Ein schräger Humor durchweht diesen Film; er diffamiert die Schönis aber nicht, sondern lässt ihre Schwächen als weitverbreitete Charakterzüge erkennen.
Der Bund / Fred Zaugg, 16. März 2010
Aussen herzig und innen harzig, aber auch immer umgekehrt
«Zwerge sprengen»: Christof Schertenleibs Film ist eine hiesige Geschichte mit Zündpunkt und Ironie.
Das tut weh. Zwerge sprengt man doch nicht, vor allem nicht hier, wo man seit frühester Kindheit einen von Schneewittchens Freunden im Kopf hat, einen Gutzwerg, der da wacker meisselt, aus uns einen Gutmenschen zu formen. Gutmensch – ein unmögliches Wort, ein verräterisches Zeichen einer schwarz-weiss verstandenen Welt, aber zugleich ein Wort, das hier zu passen scheint.
Warum diese Zwergensprengerei, dieses gewalttätige Ritual in romantischer Landschaft? Es könnte sein, dass eine Gänsehaut bekommt, wer sich diese Frage auf dem Weg vom Kino nach Hause stellt. Oder aber es findet sich die Figur zum befreienden letzten Zug: matt!
Die oft gar unschönen Schönis
«Zwerge sprengen» ist ja ein Spielfilm, ein Spiel mit sorgsam gestalteten Personen auf dem Koordinatenbrett unserer Zeit und Welt, ein Spiel mit uns auch und manchmal sogar unser eigenes schmerzendes Spiel. Christof Schertenleib beherrscht sie, diese wohldurchdachte Art Schach, und führt sie mit einem ganz eigenen, unverwechselbaren Erzählen den Fallen und Abgründen entlang, die sich dem auftun, der zwischen moralischer Predigt und morbider Praxis zu unterscheiden vermag oder zwischen der Kirche, wo Andacht herrscht, und dem Pfarrhausgarten, wo die Sprengladungen zu lustigem Feuerwerk gezündet werden, nicht ganz genau planbar, effektvoll aber ausnahmslos. Und wer so unterscheiden kann, erkennt auch die Mischformen und damit die einzelnen Menschen in ihrer bunten Komplexität.
Die Geschichte spielt im Emmental, wo schon Gotthelf seine Figuren gefunden hat, viele schon damals verzwergt, verknorzt oder aussen schön und herzig und innen harzig und giftig oder auch umgekehrt: leidend, verstossen, einsam, aber lieb und gütig. Manchmal sind sie schön, doch beileibe nicht immer, wie die oft gar unschönen Schönis, die Schertenleib gefunden hat, eine Pfarrersfamilie. Kirche, Pfarrhaus und Garten sind ihr Reich, bieten aber nur bedingt Schutz und Geborgenheit, denn sie sind einsehbar von all den Högern ringsum. Und so weiss man bald, was bei Schönis, also bei Pfarrers Ende September abgeht. Die Familie versammelt sich, besucht den Gottesdienst, sitzt zu Tisch, und dann gibt es auch noch die Sache mit den Zwergen.
Ein Gleichnis, das überall gilt
Sind jetzt eigentlich alle ins Eltern- beziehungsweise Pfarrhaus gekommen, um zusammen das Tischgebet zu sprechen oder um die Zwerge zu sprengen? Zwei Rituale, eines scheinbar unverfänglich, das andere verrückt. Unter der Normalität brodelt es, da werden Leidenschaften, Süchte, Lüste, Schmerzen spürbar. Der Pfarrherr (Urs Bihler) fordert Vergebung und frönt seinem Verlangen. Und wie er schweben seine ältesten Söhne, der welt- und geldläufige Hannes (Michael Neuenschwander) und der neben dem Pfarrhaus praktizierende Arzt Thomas (Max Gertsch), in Zwischenbereichen. Sie gleichen und bekämpfen sich, sind einmal Team, dann wieder Rivalen.
Sie sind jedoch nur zwei aus der grossen Familie, in der die Mutter (Silvia Jost) glaubt und schluckt, wenn der Vater seiner Geliebten (Viviana Aliberti) ein Nestchen baut. Andere Frauen verlassen vorzeitig die Leinwand (Doro Müggler), weil sie der Sache nicht trauen, und wieder andere (Sara Capretti) bringen Vergangenheit zurück und finden die wirre Welt von ehemals. Der Begebenheiten und Skurrilitäten harren viele in Gräben und auf Eggen und drängen ans Licht, wollen erzählt sein. Oft darf gelacht werden. Und manchmal ist Lachen gefährlich, denn es könnte entlarvend sein. So weit weg sind Christof Schertenleibs Sprenger und Zwerge gar nicht. Falsch wäre es jedenfalls zu meinen, sie seien nur im Emmental zu finden. Das Gleichnis vom Pfarrer und von den Zwergen spielt überall und heute wie morgen.
Aber nicht überall sind die Menschen so schön geschnitzt und geformt wie hier. Gleichermassen sind die Darsteller, sind die Kameraleute (Attila Boa, Christian Iseli), ist die für Schertenleibs Schaffen typische Filmfamilie an einem Werk beteiligt. Niemand braucht seine Originalität zu fürchten, weil das Beengende unserer Gegenwartsgesellschaft ausgespielt werden darf, dieses Zwergische in der Politik, der Wirtschaft, der Moral – die, wie fast alles, einmal ehrlich, vielfach aber falsch ist. Wie gern wird da übertrieben, gelogen und geschummelt und wie gern geliebt und betrogen. Und wie gefährlich nah ist jener Moment, da ein Accelerando, ein Accelerandissimo das Tischgebet zu einem letztlich erschreckenden Slogan des gewöhnlichen Wahnsinns beschleunigt. Oder ist es der Fanatismus, der sich in alle Rituale einschleichen kann?
1995 drehte Schertenleib «Liebe Lügen», vier Jahre später «Grosse Gefühle». Auf «Zwerge sprengen» wartete man viel länger. Es hat sich gelohnt. Wohl ist etwas vom fein gesponnenen Intimen diesmal weg. Die Figuren werden nicht weniger liebevoll gezeichnet, aber sie sprengen sich die schützende Hülle weg. Die lieben Lügen und die grossen Gefühle werden am offenen Herzen diagnostiziert. Seit 1988, als er den «Dokumentarfilm» «Die Wahrheit über die Schweizer Epidemie» gedreht hat, ist ja Christof Schertenleib wenigstens unter den Filmschaffenden der Spezialist: Er macht klar, wie viele von Schweizerisch-Allzuschweizerischem infiziert sind, das wie Neid, Gier, Hass, Egoismus, Steuerhinter-, -über- und -unterzug, wie Beihilfe und Weisswaschen, kurz: wie Selbstherrlichkeit und Überheblichkeit aussehen kann.
Aber was soll das? «Zwerge sprengen» ist eine faszinierend erzählte und gespielte Geschichte mit einer feinen Tonspur von Peter von Siebenthal, die alles verbindet und vertieft. Man kann diesen Film geniessen: als Film, als Fiktion, als Fabel, Märchen, gut gesponnenes Garn und (gelogenes) Gespinst.
Die Wochenzeitung, 25. März 2010
«Wir sind eine total lockere Familie», sagt Hannes und lächelt die Frau gegenüber an. Vor dreizehn Stunden hat er sie im Flugzeug von London nach Zürich kennengelernt, nun soll sie ihn zu seiner Familie ins Emmental begleiten. Dort, im Garten seines Elternhauses, findet einmal im Jahr ein Ritual statt: Die Familie Schöni sprengt Gartenzwerge, und jedes Familienmitglied wünscht sich dabei etwas.
Agat (Doro Müggler) lässt sich von Hannes überreden und findet sich inmitten einer protestantischen Pfarrfamilie wieder, die jegliche Konflikte in den Boden stampft. Das familiäre Ritual steht am Anfang eines Films, der von einer Beziehung zwischen Brüdern erzählt: Im Zentrum von «Zwerge sprengen» des Berner Regisseurs Christof Schertenleib («Liebe lügen», «Grosse Gefühle») stehen die Pfarrsöhne Hannes und Thomas, die sich, so unterschiedlich sie sind, lieben, aber auch beneiden: Thomas lebt mit Frau und Sohn im Haus gleich neben den Eltern und führt mit seiner Frau die Dorfpraxis. Der grossspurige Hannes ist wegen riskanter Geldinvestitionen in finanzieller Not. Als er vorübergehend bei Thomas einzieht und als auch noch Evelin (Sara Capretti), die Exfreundin von Hannes und Thomas, auftaucht, droht die Idylle zu zerbrechen.
Liebevoll und mit Humor erzählt Schertenleib eine an sich unspektakuläre Familiengeschichte und verzichtet dabei klugerweise auf den grossen Knall, sondern lässt es konstant unter der Oberfläche brodeln. Grossartig sind Michael Neuenschwander und Max Gertsch als Hannes und Thomas Schöni. Es ist ein Vergnügen, ihnen zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig Zigaretten in den Mund stecken, sich an ein Züri-West-Konzert erinnern oder sich wie kleine Buben im Garten balgen. Der eine aalglatt und risikofreudig, der andere bieder und brav. Und doch sind beide auf ihre Art liebenswert.
Sonntag / Evelyne Baumberger, 10. Januar 2010
Ein explosiver Eröffnungsfilm
Der Berner Regisseur Christof Schertenleib musste für seinen Film «Zwerge sprengen» kämpfen
In «Zwerge sprengen» von Christof Schertenleib geht es um zwei Brüder, die völlig verschiedene Leben führen. «Sie stehen für zwei Seiten von mir selbst», sagt der Regisseur.
Hannes und Thomas Schöni sind zwar Zwillingsbrüder, könnten unterschiedlicher aber nicht sein: Der eine ist Arzt und wohnt immer noch im Heimatdorf, der andere zieht in der Welt herum und investiert viel Geld, das er nicht hat, in Projekte, die selten lukrativ sind. Einmal jährlich trifft sich die Familie bei einem speziellen Ritual: Ende September sprengt man Gartenzwerge in die Luft, äussert für das kommende Jahr einen Wunsch oder einen Vorsatz.
Wir treffen den Regisseur von «Zwerge sprengen», Christof Schertenleib, im Schnittstudio in Bern, wo er dem Film den letzten Schliff gibt. Am 21. Januar läuft er als Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage. Beim Schreiben eines Drehbuchs geht Schertenleib meist von einer oder mehreren Figuren aus. Diesmal standen die beiden Brüder, um die es in «Zwerge sprengen» geht, am Anfang. «Michael Neuenschwander und Max Gertsch hatten beide in meinem letzten Kinofilm ‹Grosse Gefühle› eine Nebenrolle und wurden oft verwechselt», erzählt der 51-jährige Berner. «Daraus entstand die Idee, sie zwei Brüder spielen zu lassen.» Jeder der beiden beneidet den anderen im Grunde seines Herzens: Der eine hätte gerne etwas mehr Risiko in seinem Leben, der andere etwas mehr Ruhe. «So geht es doch allen», sagt Schertenleib. «Die beiden Brüder stehen für zwei Seiten von mir selbst – ich würde auch gerne mehrere Leben ausprobieren.»
Das Ritual des Zwergesprengens ist stellvertretend für Konflikte in der Familie Schöni, die unter dem Deckel gehalten werden und nie zur Eskalation kommen. So hatte der Vater im Film, ein Pfarrer, vor Jahren eine Affäre, aus der ein Kind hervorging. Beide – die Ex-Geliebte und der uneheliche Sohn – sind erstaunlicherweise jeweils beim Zwergenritual mit dabei. «Ich wollte eine Atmosphäre, die geprägt ist von einer protestantischen Moral und einem tiefen Harmoniebedürfnis. Das fasziniert mich», sagt Christof Schertenleib. Im Film heisst es, «man muss doch immer das Positive sehen», und auch der Schriftsteller Günter de Bruyn wird zitiert: «Schlimmer kommen können hätte es auch.»
«In meinen Filmen stehen die Figuren und ihre Vernetzung untereinander im Vordergrund», sagt Schertenleib. «Es interessiert mich weniger, eine Geschichte von A nach B zu erzählen.» Er gehe dabei auch von seinen eigenen Wünschen als Zuschauer aus: Dem Bedürfnis nach Filmen, die auf verschiedenen, ineinander verschachtelten Ebenen spielen, bei denen man Dinge entdecken könne, auch noch bei einem zweiten Anschauen. Als «eine Art assoziative Verdichtung» könne man das beschreiben. Dabei lasse er Themen einfliessen, die ihn auch für einen Dokumentarfilm interessieren könnten. «So weit wie Ulrich Seidl, der die beiden Genres mischt, bin ich aber bisher nicht gegangen.»
Immer wieder erwähnt Schertenleib den Regisseur, bei dessen Filmen er mehrmals als Cutter mit dabei war. Auch jetzt gerade ist er am Schnitt für Seidls Film «Paradies». Diese Tätigkeit neben der Arbeit an eigenen Filmen übe er nicht nur aus, um sich ein Einkommen zu sichern, sie interessiere ihn sehr, betont Schertenleib. «Ich ziehe es vor, bei einem spannenden Projekt den Schnitt zu machen, als bei einem Film Regie zu führen, wo mich das Drehbuch nicht überzeugt.»
Für «Zwerge sprengen» hat Christof Schertenleib aber gekämpft. Von der ersten Idee bis zum fertigen Film dauerte es zehn Jahre, und in der Realisationsphase seit 2006 gab es Finanzierungsprobleme. Der Film erhielt vom Bund keine Fördergelder. «Für einen Schweizer Film, der auch inhaltlich in der Schweiz verankert ist, ist das verheerend», sagt der Regisseur. Der Film wurde mit einem minimalen Budget von 1,1 Millionen Franken realisiert und innert fünf Wochen gedreht. «Die Techniker und Schauspieler standen stark hinter mir, arbeiteten für eine Einheitsgage und unterstützten insgesamt die Idee des ‹cinéma copain› sehr.» Ein weiterer Punkt, weshalb «Zwerge sprengen» schlussendlich fertig gestellt werden konnte, sei die rasante technische Entwicklung gewesen, die es erlaubte, digital statt auf 35-mm-Film zu drehen.
Wenn «Zwerge sprengen» nun als Eröffnungsfilm in Solothurn läuft, unter anderem vor Angestellten des Bundesamtes für Kultur, das den Film nicht unterstützen wollte – was ist das für ein Gefühl? «Das habe ich mir gar nicht überlegt», lacht Schertenleib. «Ich bin ohnehin nervös, da der Film zum ersten Mal vor Publikum gezeigt wird.» Nicht nur das, er ist auch für den «Prix du Public» nominiert. Ein Versprechen wird «Zwerge sprengen» garantiert halten: Die Filmtage werden dieses Jahr mit einem Knall eröffnet.
züritipp / Pascal Blum, 25. März 2010
ZÜNDSTOFF FAMILIE
Christof Schertenleibs Ensemblefilm über ein Familienfest im Emmental schildert kleine Eruptionen im Land der Harmonie. Das ist so vergnüglich wie lebensnah.
Ein Dorf im Emmental im Herbst. Die Familie Schöni deckt den Gartentisch. Das kennen wir: Gleich wird sie einen Dessousladen eröffnen. Falsch. Diese Familie trifft sich jährlich zum traditionellen Sprengen der Gartenzwerge. Jeder äussert einen Wunsch, sobald sein Zwerg mit Feuerwerk bepackt in die Luft geht. Nur die Tochter (Rahel Hubacher) ist nach Indien abgehauen. Der Vater und Dorfpfarrer (Urs Bihler) wünscht ihr alles Gute, die Mutter (Silvia Jost) bleibt stoisch.
Das Herz des Spielfilms von Christof Schertenleib («Grosse Gefühle») schlägt für die zwei ungleichen Brüder. Der unsichere Arzt (Max Gertsch) hat mit seiner Frau (Cathrin Störmer) eine Praxisneben dem Elternhaus aufgebaut. Sein Bruder(Michael Neuenschwander) leckt sich als Finanzspekulant durch die Businesswelt und zieht eine Schleimspur, auf der alle kleben bleiben. ZumFamilienfest schleppt er eine Affäre (Doro Müggler) mit, die als Fremde rasch die Hässlichkeit unter der Oberfläche der Schönis erfasst:
Einerseits ist beim Ritual die alkoholsüchtige Geliebtes des Vaters (Viviana Aliberti) mitsamt Sohn dabei, deretwegen die Familie in bodenloser Toleranz die Weingläser wegstellt. Das Unglück des Arztes wiederum besteht darin, dass er rundum glücklich ist und den Bruder bewundert, der seine Zigaretten nicht rationiert. Der wittert seinerseits in der Begegnung mit einer Schulfreundin (Sara Capretti) finanzielle Chancen. Sowie er seinen Bruder in die Affäre hineinzieht, zündet das verschüttete Dynamit.
Der Ensemblefilm über Risiko und Askese, Flucht und Sicherheit leidet wegen des riesigenFigurenarsenals an Längen; zuweilen hat er mehr Schwer- als Sprengkraft. Trotzdem kommt am Schluss eine wunderbar vergnügliche, lebensnahe Studie über ein Land heraus, das alles hinunterwürgt, um Harmonie auszukotzen. Eine ähnliche Diagnose stellte zuletzt das Drama «Nachbeben» (ebenfalls mit Michael Neuenschwander). «Zwerge sprengen» hat seine Stärken auch im Drehbuch und in den Schauspielern, lebt überdies aber von derEleganz des Schnitts und dem Verzicht auf Befindlichkeitsgeilheit. Oft sind Spielfilme hierzulande nämlich so mies geschrieben, dass wir den Figuren nicht anmerken, was sie denken, sodass sie einander stets fragen müssen, was los sei. Wenn jedoch die beiden Brüder schweigend auf der Terrasse rauchen, wissen wir, was in ihren Köpfen vorgeht, und wir lernen zwei plausible Menschen kennen.
20minuten, 25. März 2010
Zwischen Drama und Komödie
Tragikomischer Blick hinter die Fassade einer Emmentaler Familiengemeinschaft.
Einmal pro Jahr trifft sich die Familie Schöni im alten Pfarrhausgarten, um gemeinsam Zwerge zu sprengen und fromme Wünsche zu offenbaren. Darunter auch die beiden Brüder Hannes und Thomas Schöni. Während Thomas (Max Gertsch) seine Arztpraxis nur hundertachtzig Schritte neben dem elterlichen Anwesen eröffnet hat, zieht Hannes (Michael Neuenschwander) in der Welt herum. Soeben ist der Möchtegern-Investor erfolglos von einer London-Reise zurückgekehrt und hat unterwegs die querdenkerische Agat (Doro Müggler) kennengelernt. Sie droht als Partygast die Eintracht zu stören und deckt auf, dass es bei einigen Familienmitgliedern unter der Oberfläche ganz gewaltig brodelt.
Schade nur, dass die Aussenseiterin Agat im spannendsten Moment die Szenerie verlässt. Gerne hätte man gesehen, wie sie das wahre Wesen des Pfarrers Werni (Urs Bihler), seiner Gattin Margrit (Silvia Jost) und seiner Ex-Geliebten Florence (Viviana Aliberti) aufdeckt. Statt dessen gibts die Lovestory mit Jugendfreundin Evelin (Sara Capretti), der Thomas und Hannes zeitgleich den Hof machen und somit zu Liebesrivalen werden. Christof Schertenleibs jüngste Regiearbeit pendelt immer wieder unentschlossen zwischen Drama und Komödie. Spassig ist das titelgebende Zwergesprengen, das auf der Leinwand gleich zweimal zu sehen ist.
Oltner Tagblatt, 13. April 2010
Familie Schöni trifft sich im Elternhaus, um einem seltsamen Brauch zu huldigen: Sie sprengen Zwerge. «Zwerge sprengen» ist auch der Titel dieser Tragikomödie, die ab Donnerstag im Kino Lichtspiele in Olten gezeigt wird. Nebst dieser exzentrischen Tradition sind Schönis vordergründig eine recht bürgerliche Familie. Im Mittelpunkt stehen die beiden Söhne. Der eine hat die Sicherheit gewählt, der andere das Risiko. Der eine hat seine Arztpraxis nur hundertachtzig Schritte neben dem elterlichen Anwesen eröffnet. Der andere zieht in der Welt herum und investiert in immer neue Unternehmungen. Eines aber verbindet die Brüder Hannes und Thomas Schöni: Das jährliche Familientreffen im alten Pfarrhausgarten, um gemeinsam Zwerge zu sprengen, um gute Vorsätze zu fassen und harmonisches Beisammensein zu pflegen. Doch in diesem Herbst ist alles anders: Die beiden Söhne stecken in Schwierigkeiten, eine Fremde droht die Eintracht zu stören und auch sonst brodelt es unter der Oberfläche.
Der intensive Film des Berner Regisseurs Christof Schertenleib zeigt präzise und einfühlsam beobachtete Szenen, bissige Dialoge, aus dem Leben gegriffene Figuren, hervorragend besetzte Schauspieler und eine schwungvolle Inszenierung. Eine plausible Geschichte und Selbstironie heben den Film weit über den Durchschnitt helvetischen Filmschaffens hinaus.