Rezensionen / Presse zu «Une liaison pornographique»

Gerhard Schaufelberger, www.cinemabuch.ch

Sie (die bezaubernde Nathalie Baye) und Er, (voll im Saft: Sergi Lopez), zwei namenlose Vertreter ihres Geschlechts, haben sich verabredet. Sie kennen sich nicht. Sie hat ein Hotelzimmer reserviert. Dort tun sie „Es“. „Was“, das kaschiert Frédéric Fonteneye («Max et Bobo») hinter der gespielten Würde der als „echt“ gesetzten Figuren. Diese tun „Es“ erneut, dann nochmals und dann zweimal am gleichen Tag - et quoi alors?      

Ja! Sie tuns nebenbei ganz gewöhnlich, wie wir Säugetiere es in der Biologiestunde gelernt haben, und in dieser Gewöhnlichkeit fallen sie jäh zurück in überkommene Muster. Als hätten wir nicht schon gewusst, dass Sex unterm Leintuch auf die Dauer keinen Spass macht, - selbst dann, wenn eben die „Sie“ dominiert.

Aus Pseudo-Interviews geben Sie und Er getrennt ihre Geschichten zum Besten. Ihre Berichte streifen Es, ohne sich die geringste Blösse zu geben. „Es“ darf ausserhalb ihrer Gedanken keine Stätte mehr haben. Tief menschlich wirkt die offensichtliche Verlogenheit der beiden zum Detail. Sie oder Er (oder etwa auch beide) scheinen meist zu schummeln. Was sie aussagen, bestätigt uns weder der allwissende Bericht eines Kommentators noch eine innere Stimme. Wem trauen wir nun? Und ist es überhaupt wichtig, jemandem vertrauen zu können?

Nathalie Baye wurde für ihre Verkörperung der „Sie“ 1999 in Venedig als beste Schauspielerin gefeiert. Ihr Spiel lässt denn auch die furchtbare Einsamkeit in der Strenge gegen sich selbst beklemmend echt hervorschimmern; weint sie, so weint sie allein zu Ende, das leidende wie das ekstatische Gesicht werden vor dem Mann verborgen – „Du sollst meine Grimassen nicht sehn“. Scham und Gewissen zügeln bis ins Letzte hinab ihre Lust. Und dieses Letzte ist die gemeinhin bekannte „Liebe“, vor der Er sich ebenso fürchtet wie Sie an ihr zweifelt.

Kraftvoll bubenhaft sitzt Sergi Lopez («La Nouvelle Ève») als Er am Bistrotischchen beim Cognac, schliesst seinen blank polierten Mittelklasswagen auf. He-Man selbst in der Gerührtheit, sind seine Tränen schon versiegt, als Sie diese bemerkt hat. Er markiert den bodenständig gesitteten Mann, der nur gelernt hat, mit den Frauen „umzugehen“, sich aber offenbar darum herum gedrückt hat, mit ihnen zu leben.

Endlich trampeln da die beiden Nebenfiguren - ein älteres Paar, das getrennt ist, und doch zur Verbundenheit gezwungen -, mit mythologischer Schwere und sagenhaft schroffer Klarheit in den dahin plätschernden Plot herein. „Jener Er“ säuft und vögelt Frauen, die sich verkaufen, zeigt sich kaum noch zuhause, während „jene Sie“ ihn zwar verachtet, ihm aber bis in den Tod hörig bleibt.

Philippe Blasbands Haupttext begnügt sich durchaus damit, Wahrheit anzudeuten als „Stille zwischen den Worten“ (so Fonteyne), und die Kamera (Virginie Saint-Martin) erfasst elegant als vielsagende Randnotizen das Lächeln und Gebärdenspiel der braven Leute, die man Ungehöriges gefragt hat. Diese Augenblicke des verschmitzten Zurückweichens in eine strenge, biedere Würde ist das einzige, was pornographisch genannt werden kann an «Une liaison pornographique». Wer darauf aus ist, die Sinne zu reizen, ist freilich im falschen Film. Gut unterhalten wird sich aber, wer es vorzieht, zu schweigen, wenn es der Fantasie an die Wäsche geht.



Daniel Howald, www.mybasel.ch

Jenseits von Pornographie

Ein Hotelflur in sündigem Plüschrot, ein Paar eilt durch den Flur zur Türe, für einen kurzen Moment schlägt uns weisses, gleissendes Licht entgegen. Dann wird die Türe von innen geschlossen, und wir bleiben draussen und allein im flauschig pornographischen Ambiente. Das Paar, das dort tut, was niemand sieht und sehen wird, kennt sich seit etwa einer Viertelstunde. Dieser Viertelstunde vorausgegangen ist ein Kontaktinserat in einer einschlägigen Zeitschrift auf der Suche nach einem Partner für die Realisierung ausgefallener sexueller Phantasien.

Nicht jede erotische Phantasie kann realisiert werden, aber es gibt solche, die zur Realität drängen. Jahrelang trägt man sie mit sich herum, wartet vergeblich auf den richtigen Partner, und dann ist man plötzlich allein und frei, sich einen Gleichgesinnten zu suchen. So sieht es eine gut aussehende Frau mittleren Alters, die offen und selbstbewusst in die Kamera spricht. „Ich hätte es schon öfter tun wollen, aber meine Männer wollten es nie tun ... Also habe ich auf einen Moment gewartet, in dem ich keine Beziehung hatte, und sagte mir: Warum soll ich diese Phantasie nun nicht einmal ausleben?“

Der Film vom belgischen Regisseur Frédéric Fonteyne ist eine von hinten aufgezäumte Liebesgeschichte. Er beginnt mit fiktiven Interviews mit den beiden Protagonisten Nathalie Baye und Sergi Lopez. Unabhängig voneinander werden sie zu ihrem vergangenen Liebesverhältnis befragt. Passagen aus diesen Interviews werden immer wieder in die eigentliche Spielhandlung hineingeschnitten. Eine Dramaturgie, die subtile Differenzen aufzeigt und psychologische Spannung erzeugt.

Und dann geschieht doch noch das Unvermeidbare: Aus dem aufs rein Sexuelle ausgerichteten Übereinkommen entwickelt sich eine zarte Liebesbeziehung, eine französische Beziehungskiste in den Bistros und Strassen von Paris. Von beiden Protagonisten so überzeugend gespielt, dass auf einmal Gefühle sichtbar werden wie Scham oder der Wunsch nach „normalem“ Sex.

«Une liaison pornographique» ist eine innere Reise zu den verborgenen Räumen des Eros, ein Suchen nach dem Intimen und dem Unsagbaren in Physiognomie, Gestik und Sprache der Darsteller. Bis auch die Sprache versagt; - zurück bleibt die Erinnerung an eine leidenschaftliche Liebe, die niemand erwartet hatte.



Pia Horlacher, "Neue Zürcher Zeitung", 9. September 1999

Ein Film über die Irrungen und Wirrungen von Sexus und Eros, der sein Thema mit künstlerischer Gestaltungskraft bewältigt... Ein kluges, erotisches Kammerspiel!


Thomas Kniebe, "SonntagsZeitung", 8. September 1999

Einer, der wirklich neuartig an die Sache mit den Obsessionen herangeht ist der belgische Regisseur Frederic Fonteyne. Er beginnt da, wo die meisten Filme aufhören und verschafft seiner Liebesgeschichte ungeahnte Freiheiten... Diese Versuchsanordnung, die mit einfachsten Mitteln auskommt, bleibt spannend bis zum Schluss.

SIDE B