Rezensionen / Presse zu «Reizendes Gift»

Dani Winter, "Stadtzeitung", September 1995

Mit ihrem Film «Reizendes Gift» erhellen die Basler Geschwister Martin und Priska Forter ein dunkles Kapitel in der Geschichte des chemieabhängigen Dreiländerecks: die Vergiftung des Elsass und seiner benachbarten Grenzregionen durch die Lindan-Produktion in der Hüninger Chemiefabrik Ugine-Kuhlmann.

Der damalige Basler Kantonschemiker Martin Schüpbach und sein Assistent, der ihn zur Hüninger Grenze begleitet hatte, staunten nicht schlecht, als sich die weissen Abfallhaufen der französischen Chemiefabrik Ugine-Kuhlmann "wie riesige Zuckerberge" vor ihnen auftürmten. Die Quelle des DDT-ähnlichen Chlorinsektizids Lindan, das Schüpbach 1000stelgrammweise in der Muttermilch von in der Region lebenden Frauen nachgewiesen hatte, war endlich gefunden – und lag gleich in tonnenschweren Haufen vor ihnen.

1975 wurde die "Kuhlmänni" abgerissen. Das Lindan – chemischer Wirkstoff: Hexachlorcyclohexan, auch HCH oder 666 genannt, hingegen wird die deutsch–französisch-schweizerische Grenzecke noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Nicht nur, weil das Gift von Chemiegiganten wie Rhône-Poulenc weiterhin produziert und von den drei Balser Multis Ciba, Roche und Sandoz auch weiterhin im Angebot geführt wird. Akuten Anlass zur Sorge geben die schätzungsweise 120'000 Tonnen hochgiftigen, dioxinhaltigen Abfalls, den Ugine-Kuhlmann während Jahrzehnten im Ober- und Unterelsass verteilt hat und der die Region noch etliche Jahre belasten wird.
Denn das Lindan brachte den Hüningern nicht nur eine hübsche Stange Geld und Ruhe vor dem Kartoffelkäfer, sondern auch den unangenehmen Nebeneffekt, dass 85 Prozent der zu seiner Produktion verwendeten Stoffe als Abfall in Form eines feinen, weissen Pulvers übrig blieben, das Kreislauf- und Stoffwechselstörungen verursacht und im Verdacht steht, Krebs zu erregen.

Der hohe Abfallanteil verlangte den bedauernswerten Direktoren der Ugine-Kuhlmann bis zur Einstellung der Lindan-Produktion im Jahre 1974 ein gerüttelt Mass Phantasie ab. So wurde das HCH auf der Suche nach einem geeigneten Verwendungszweck zum Beispiel in einen eigens entwickelten Beton Marke "Hydrofugue" gemischt. Einen weiteren Einsatzbereich fanden die HCH-Abfälle als Zutat im Kriegsgift "Agent Orange", mit dem die Amerikaner Vietnam entlaubten und vergifteten. Ein nicht zu unterschätzender Teil des Nervengifts schliesslich wurde vom Winde über die Grenzen nach Deutschland und die Schweiz verweht.

Der Rest verschwand unter französischem Boden. 15 Deponien mit klaren Indizien für die illegale Lagerung dioxinhaltiger Abfälle aus der Lindan-Produktion wollen Martin und Priska Forter während der Recherchen zu ihrem Film «Reizendes Gift» ausgemacht haben, darunter auch die Deponie "Baggerloch". In ihrem 60minütigen Dokumentarfilm kommen Augenzeugen und ehemalige Beschäftigte der Chemiefabrik zu Wort: "Der allgegenwärtige Geruch nach Benzol und Chlor setzte sich in der Luft und in den Kleidern fest", erinnert sich ein ehemaliger Angestellter. "Es war eine unglaubliche Stinkbude." Doch Geld, so der Rentner, stinke ja bekanntlich nicht.
Und dafür nehmen die ElsässerInnen einiges in Kauf: die juckenden Ekzeme auf der Haut, das unerträgliche Brennen des Staubs in den Augen, eine bis heute anhaltende Verseuchung des Grundwassers mit Lindan und die Angst vor der unberechenbaren Langzeitwirkung des Gifts. Entschädigt wurden sie mit guten Jobs und hohen Löhnen.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der inzwischen in Liquidation befindlichen Ugine-Kuhlmann schlägt sich noch heute in der Verschwiegenheit der Betroffenen nieder, sei es aus Loyalität oder Angst: "Einige, Lastwagenfahrer etwa, die sich auch heute oft am Rande der Legalität bewegen müssen, wollten aus Furcht vor Repression nicht vor der Kamera Stellung nehmen", berichtet Martin Forter, der sich mit der Umweltgeschichte der Basler Chamie auch in dieser Zeitung schon des öfteren journalistisch befasst hat und für «Reizendes Gift» auf seinen entsprechenden Erfahrungsschatz zurück greifen konnte. "Viele weitere Betroffene sind bereits verstorben. Einen kausalen Zusammenhang mit dem Gift nachzuweisen, lag aber ausserhalb unserer finanziellen Möglichkeiten." Keine brauchbaren Resultate zeitigen übrigens auch die Bestrebungen, die Verantwortlichen der Ugine-Kuhlmann mit der jahrelangen Schädigung von Menschen und Umwelt zu konfrontieren – weshalb im Film gar keine Firmenvertreter zu Wort kommen.

Trotzdem ist der Film nicht polemisch. "Wahrscheinlich ist «Reizendes Gift» viel zu wenig plakativ", räumt Priska Forter ein, die als Kamerafrau für die berührende, weil sehr persönliche filmische Umsetzung des journalistischen Materials verantwortlich zeichnet. Doch geht es den Geschwistern Forter bei aller Genauigkeit in der Recherche und aller Konsequenz in der Zuweisung der Verantwortlichkeiten in erster Linie um die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema über den konkreten Fall der Ugine-Kuhlmann hinaus: "Zeit, Ort und Personen", so die Filmerin, "sind austauschbar." Zentral ist die Kritik am ebenso gedankenlosen wie alltäglichen Technologieeinsatz zum Zweck der Ertragssteigerung: Um die "weissen Haufen in den Höfen" der Ugine-Kuhlmann die ganzen Jahre zu übersehen, musste so manches Auge zugedrückt – oder geblendet – werden.

Dass das Problem der Abhängigkeit von der Chemie weiter verbreitet ist als nur gerade unter ihren direkten LohnbezügerInnen, zeigte sich indes den Forters bereits bei der Suche nach finanziellen Mitteln für den Film: der ansonsten recht spendablen Basler Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG) jedenfalls war «Reizendes Gift», an dessen Produktion sich neben den Basler Halbkantonen, der Migros und zahlreichen kleineren Institutionen immerhin das Schweizer Fernsehen DRS und das ZDF beteiligten – keine Unterstützung wert.

"Basellandschaftliche Zeitung", 1. September 1995

«Reizendes Gift» - eine ätzende Skandalmache? Oder ein anmutiger Bericht? Weder noch, Denn so, wie der Titel von Martin und Priska Forters Dokumentarfilm zumindest doppeldeutig lesbar ist, so bleibt auch die Reportage – in ihrer ganzen Bestimmtheit und ihrem politischen Engagement – sehr subtil und unketzerisch: «Reizendes Gift» ist die intelligente Dokumentation einer Umweltkatastrophe, deren Dimension und Ausmass heute erst allmählich bewusst wird – und deren ungestörter Fortgang während langer Jahre verdrängt geblieben ist, obwohl die Verantwortlichen sich des Risikos voll bewusst waren.

Das französische Unternehmen Ugine-Kuhlmann, das sich bis vor 20 Jahren jenseits der Grenze in Hüningen befand, produzierte bis 1974 Lindan, ein mit DDT vergleichbares Chlorinsektizid. Aus dieser Produktion entstanden Tonnen von hochgiftigen Abfallstoffen, die in Form von weissem Pulverstaub bergeweise auf dem Areal der Fabrik gelagert wurden. Die einfachste und billigste Entsorgung des Giftes leistete daher der Wind, der das Pulver über die Grenze in die Schweiz und nach Deutschland trieb – allerdings nicht so lautlos, wie man es gerne gesehen hätte: Lindanbelastete Muttermilch und vergiftete Kuhmilch im Dreieckland waren die Folge.

In sachlichem Ton verfolgt die Enthüllungs-Story der Geschwister Forter die Spuren des Giftes und versucht, die Zusammenhänge von einer anderen Seite, sozusagen von unten her, in den Blick zu bekommen: Denn die Geschichte des Insektizids wird auf erhellende Weise mit den persönlichen Geschichten einiger Beteiligter verknüpft. Es sind die Geschichten der kleinen Leute, vom einfachen Arbeiter –Ehepaar über die Sekretärin, die die Fabriksdirektoren wie einzelne Dynastien herunterzählt, bis zum Zöllner, dem der weisse Staub bei Wind jeweils in den Augen biss.

Was dabei als erschreckender Grundtenor immer wieder hervorsticht, ist das ungebrochene Fortschrittsdenken und der martialische Gehorsam sämtlicher Betroffener, die den Giftstoff so ergeben hinnahmen wie den allabendlichen Wetterbericht.

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"Dreiland-Zeitung" (Beilage der "Basler Zeitung"), 1. September 1995

Wie Schnee sehen die weissen Berge im Fabrikhof aus. Es ist hochgiftiger dioxinhaltiger Abfall aus der Produktion von Lindan, eines mit DDT vergleichbaren Chlor-Insektizids. Lindan aus Huningue wurde auch über Vietnam versprüht. 1976 wurde die Fabrik Ugine-Kuhlmann in Huningue abgerissen. Aber immer noch lagert in der Region an unzähligen Orten der Müll, findet man im Elsass das weisse Zeug in der Ackererde; Spuren des Gifts sind rundum in der Region. Die Basler Martin Forter und Priska Forter sind der Lindan-Geschichte und den anhaltenden Folgen nachgegangen. Arbeiter und Betroffene aus dem Dreiland berichten. Die Sprachen, die ausgeprägten Charaktere, bringen Farbe und Erfahrungen aus erster Hand, setzen den Gegenpol zur intensiven wissenschaftlichen Recherche. Das ganze Ausmass des Umweltskandals wird überhaupt erst heute abschätzbar. Die Sache geht unter die Haut.

Dani Winter, "Badische Zeitung", 2. September 1995

In zahlreichen Proben von Muttermilch hatte der ehemalige Basler Kantonschemiker Martin Schüpbach Spuren eines Insektizids nachgewiesen. Er brauchte Jahre, bis er die Ursache hierfür fand: "Riesige Zuckerberge" jenseits der Grenze, Abfallhalden der Hüninger Chemiefabrik Ugine-Kuhlmann, die das Pflanzenschutzmittel herstellte. Rund 120'000 Tonnen hochgiftigen, dioxinhaltigen Abfall hatte die "Kuhlmänni" bis zu ihrer Schliessung 1976 produziert.

Der freie Journalist Martin Forter, Mitarbeiter unter anderem der Badischen Zeitung, ging gemeinsam mit seiner Schwester Priska den Spuren dieser schleichenden Verseuchung nach und dokumentierte sie in seinem Film «Reizendes Gift». In dem 60minütigenm Streifen kommen Augenzeugen zu Wort. "Es war eine unglaubliche Stinkbude", sagt ein ehemaliger Beschäftigter, "der allgegenwärtige Geruch nach Benzol und Chlor setzte sich in der Luft und in den Kleidern fest.

Rund 85 Prozent der zur Produktion verwendeten Stoffe wanderten auf den Müll, das Unternehmen hatte stets Mühe, diesen Abfall zu beseitigen. Hexachlorbenzol, der chemische Wirkstoff, wurde zeitweise Beton beigemischt, diente als Zutat zum berüchtigten "Agent Orange" bei der Entlaubung der Wälder Vietnams. In insgesamt 15 Deponien im Elsass lagert Chemiemüll, teilweise illegal deponiert. Darunter befindet sich auch das "Baggerloch" in Hüningen.

Forter wollte auch die Verantwortlichen vor die Kamera holen, allein diese sagten ab. So ist der Film zwar einseitig, aber nicht polemisch. Denn darauf kommt es den beiden Filmemachern nicht an. "Zeit, Ort und Personen sind austauschbar", sagt Priska Forter. Es geht um die schleichende Zerstörung der Umwelt und die Chemieabhängigkeit des Dreiländerecks über den konkreten Fall hinaus. (...)

SIDE B