Anmerkungen des Regisseurs Hercli Bundi zu «Not Vital – half man, half animal»
Wenn ich an Not Vital denke, tut sich vor meinem inneren Auge unwillkürlich eine gespenstische Gruppe von halb lebenden, halb starren Tier- und Menschwesen auf, die mich stumm auf etwas hindrängen. Im Vordergrund ist es ein Hirsch, die anderen verlieren sich im Dunkeln, und im Dunkeln sind auch die Augen von Not Vital selbst, die mich anstarren.
Als ich Not Vital das erste Mal in Lucca besuchte und wir uns wegen dieses Films einen Abend lang auf den Zahn gefühlt hatten, verbrachte ich eine furchtbare Nacht auf einem feuchten, harten Bett. Mit einem Schrei erwachte ich aus einem Albtraum. Ich war schweissgebadet. Im Traum war der Künstler selbst in Gestalt seiner Figur an mein Bett gekommen, um mir ein Stück meines Körpers heraus zu beissen. Das muss ein Besessener sein, davon war ich überzeugt.
Träume kann man nicht für bare Münzen nehmen. Dass mich Not Vitals Kunst etwas angeht, wusste ich schon vorher. Sie berührt mich, weil sie surreal ist und dabei so klar. Sie fordert mich heraus. Dieser Traum ist ein Sinnbild dafür. Sie drängt mich auf ein Geheimnis hin, das sich mir nur zeigt, wenn ich durch sie hindurchgehe. Ich bin jetzt ein Boxer, der sich auf den Kampf eingelassen hat. Ich werde es diesen Tier- und Menschwesen zeigen, ich werde sie mit meiner Technik schlagen und erst dann werden wir Freunde sein.
Was dieses Geheimnis ist, weiss ich nicht. Doch ich ahne, dass es mir nahe steht. Die Verbindung zwischen dem, was ich in Not Vitals Kunst sehe, und meiner Überzeugung, dass hier ein Geheimnis verborgen ist, wird durch diesen Film unweigerlich zu einer Lösung führen. Dann kann ich wieder sagen: das ist Not Vital dort am anderen Ende der Welt, und das bin ich hier mit meinen Fantasien – und jeder geht sein eigenes Leben.
In der Person und im Werk von Not Vital fächert sich ein breites Spekturm von Fragestellungen auf, die mich persönlich interessieren. Es sind grundsätzliche Gedanken (etwa zum Verhältnis Mensch – Natur – Zeit), aber auch ästhetische Konzepte (wie die Materialität von Kuhmist, Gips, Bronze oder Marmor) und schliesslich individuelle Ansichten (etwa zu Heimat, Provokation, Poesie und Traum).
Diese vorläufig noch abstrakten Begriffe werden auf einige wenige prägnante Fragen reduziert und definieren so die Themenkreise, in denen sich der Film bewegt.
Not Vital ist in ständiger Bewegung. Er wird sein Leben nicht kurz anhalten, um sein Porträt zeichnen zu lassen oder die Vergangenheit und die Zukunft zu analysieren. Für einen Film, welcher die gleichen Kriterien erfüllt, wie sie Not Vital an seine eigene Arbeit stellt, ist er aber durchaus bereit. Es soll ein künstlerisch eigenständiger Film werden, ein intimes Porträt und also – wie alle intimen Angelegenheiten – während einer bestimmten Zeit auch zu Not Vitals eigener Angelegenheit werden.
Not Vital erzeugt Spannung. Er bezieht sich nicht nur auf Gegensätze in der Kunst, im Material oder in der Form, sondern auch auf solche im Leben, in den Kulturen und Sprachen. Der Diskurs des Films wird darin bestehen, sich einerseits in diese Gegensätze hinein zu begeben und sie andererseits von aussen zu analysieren.