Anmerkungen des Regisseurs zu «Harmony»
Nach einer abgeschlossenen Grafiker-Lehre und Erfahrungen im Kulturjournalismus gelangte ich zu dem, was ich wirklich will: Film. Ich besuchte die Filmschule in Luzern und habe mich im Bereich Drehbuch und Regie spezialisiert.
Mein Abschlussfilm «Der Räuber» konnte ich an über 25 Festivals zeigen: unter anderem war der Film in der offiziellen Auswahl des Slamdance Film Festival in Park City, eines der renommiertesten Indie-Festivals in den USA, sowie in der European Competition in Brest.
Subjektivität ist das Credo in meinem Abschlussfilm: Mein Film taucht in die Wahrnehmung eines 11-jährigen Mädchens ein, das sexuell missbraucht wird.
Mich interessieren Familiengeheimnisse. Denn in Familienstrukturen kann ich festmachen, wie ein Mensch geprägt ist und womit er im späteren Leben zu kämpfen hat.
So befasst sich auch mein neuster Stoff «Harmony» mit diesen Themen: Es ist ein subtiles Drama, welches den Bruchstellen einer symbiotischen Mutter-Tochter-Beziehung nachgeht.
Ein 14-jähriges Mädchen inspirierte mich zu dieser Geschichte. Ich arbeitete als Medienpädagoge und suchte mit einer Gruppe Jugendlicher nach einer Geschichte für ein Projekt. Die Pubertierende berichtete mir, dass sie vor einigen Jahren ihrer Mutter heimlich in der Nacht die Haare abgeschnitten hätte. Es war ein Racheakt, weil sich ihre Mutter gerade von ihrem Vater trennte. Auch ich bin ein Scheidungskind und kann mich gut in das Mädchen einfühlen. Die Geschichte inspirierte mich für «Harmony».
In meinem Film schneidet das Mädchen der Mutter die Haare ab, weil es den Freier loswerden und die Milch nicht mehr trinken will, weil es seine Mutter für sich haben und sich gleichzeitig von ihr ablösen will – auch wenn dieser Wunsch erst unbewusst vorhanden ist.
In «Harmony» geht es um den Versuch, den Zustand einer Beziehung zu leben, der sich schon längst verändert hat – die Mutter hätte ihr Kind am liebsten noch in ihrem Bauch. Der Versuch, diese Beziehung aufrecht zu erhalten, mündet im Krankhaften, in einer auferzwungenen Symbiose, in der die Mutter der Tochter gleichgestellt ist.
Viele Menschen sind gefangen in Lebensumständen, in denen Entwicklung kaum möglich ist, die Routine siegt über den Alltag – «Harmony» beschreibt einen solchen Zustand.
In meinem Film gilt das Prinzip der Vergeltung. Gleiches zu erleben und zu fühlen verbindet und versöhnt. Und doch wird mit diesem Mittel Entwicklung unterbunden, denn die Bestrafung dient als Ersatzhandlung für eine nötige Auseinandersetzung mit sich selbst. Aber in meiner Geschichte gibt es dennoch Hoffnung. Indem Harmony ihrer Mutter die Haare abschneidet, erzwingt das Mädchen unbewusst die Ablösung von seiner Mutter. Es wird das Gefühl der Unabhängigkeit wieder erleben wollen.
In meinem Diplomfilm «Der Räuber» mache ich mit Bildern psychische Störungen eines Mädchens sichtbar das sexuell missbraucht wird.
In «Harmony» möchte ich meine Filmsprache weiterentwickeln. Diesen Film zu realisieren ist für mich der nächste logische Schritt in meiner Karriere. Das Projekt ist komplexer als mein letztes und somit zugleich eine Vorbereitung auf mein übernächstes Projekt. Ich möchte einen abendfüllenden Spielfilm drehen. Das Drehbuch dazu ist bereits in Entwicklung. Es ist eine Familiengeschichte, in der ich einer problematischen Vater-Sohn-Beziehung nachgehe.