Gespräch mit Regisseur Christian Iseli über den Film «Der Stand der Bauern»
Wie sind Sie auf die Bauern gekommen?
Ich hatte schon bei verschiedenen Arbeiten mit Bauern oder mit Problemen der Bauernschaft zu tun. Zuletzt bei meinem Film «Grauholz». Eine der darin vorkommenden Personen ist der Bauer Otto Salzmann, der mich mit seiner Lebenshaltung sehr beeindruckt hat. Dann ist dazugekommen, dass mit der Diskussion um das GATT, den EWR und die EU die Situation der Bauernschaft eine neue Dimension und Aktualität erhalten hat. Kurz vor der Bauerndemonstration vom Januar 1992 habe ich mich dann entschlossen, einen Dokumentarfilm zu machen, der sich mit den Bauern in unserer Gesellschaft auseinandersetzt.
Gibt es einen persönlichen Bezug zum Thema?
Sehr viele Schweizer und Schweizerinnen haben bäuerliche Verwandte oder Vorfahren. Das ist auch bei mir so. Ein grosser Teil der Verwandtschaft väterlicherseits stammt aus bäuerlichen Verhältnissen. Mein Grossvater war Bauer. Mein Vater hat als jüngstes von neun Kindern einen anderen Beruf gewählt. Aber er hat natürlich einiges vom bäuerlichen Gedankengut behalten und an uns Kinder weitergegeben. Es war bei uns auch Brauch, dass die Kinder die Schulferien bei Verwandten verbrachten. So lernte ich als Achtjähriger das Leben auf dem Hof meiner Gotte in Gossliwil kennen. Ich erinnere mich vor allem daran, dass ich fürchterliches Heimweh hatte und dass mir die Arbeit auf den Feldern unendlich lang vorkam. Ich war also nicht gerade begeistert vom Leben der Bauern. Später habe ich mich im städtischen Milieu eingerichtet und die Distanz zur bäuerlichen Verwandtschaft wurde grösser. Ich hatte auch den Eindruck, dass sich die Bauernschaft politisch und kulturell sehr defensiv verhielt und die Veränderungen der Gesellschaft nicht wirklich zur Kenntnis nahm. Aber es ist auch so, dass ich von der Lebenshaltung der Bauern fasziniert blieb. Ich entdeckte da eine Ruhe und Genügsamkeit, die ich in meinem Leben vermisste. Es ist also ein etwas zwiespältiges Verhältnis geblieben und ich habe auch versucht, das in den Film zu integrieren.
Gibt es nicht schon genug Schweizer Filme über die Bauern?
Es war mir von Anfang an bewusst, dass sich schon einige Filme mit der Bauernschaft beschäftigt haben. Die meisten davon kenne ich, und einige bedeuten mir auch sehr viel. Ich wollte auch keineswegs etwas wiederholen, was es schon gibt. Mit der Gegenüberstellung von unterschiedlichen Verhaltensweisen von fünf Bauernfamilien und dem Einfügen einer historisch-analytischen Ebene habe ich versucht, so etwas wie ein Gesamtbild zu erreichen. Selbstverständlich will ich damit nicht sagen, dass ich ein repräsentatives Bild herstellen konnte, aber dennoch glaube ich , dass damit ein Eindruck der Vielfältigkeit und auch der Komplexität entstanden ist, der die Situation der Bauernschaft gut widerspiegelt.
Wie haben Sie die Bauernfamilien ausgewählt?
Ich habe nach verschiedenartigen bäuerlichen Überlebensstrategien gesucht, um sie einander gegenüberzustellen. Fritz Meister ist mir als Leserbriefschreiber aufgefallen. So bin ich auf die Emmentaler Familie gestossen. Den Biobetrieb von Vreni und Moritz Buchli habe ich erst nach mehreren Stationen gefunden, indem ich Tipps von Bekannten weiterverfolgt habe. Das „Chambre agricole genevoise“ machte mich auf die Bisonzüchter aufmerksam, als ich auch in der Westschweiz nach Betrieben suchte, die Unkonventionelles ausprobieren. Hanspeter Berry traf ich an der Top-Genetik-Auktion von Sargans , als er Embryonen von seiner „Finnia“ versteigerte. Und die Familie Schmid inserierte die Versteigerung ihrer Vieh- und Fahrhabe im „Schweizer Bauer“ und so bin ich mit ihnen in Kontakt getreten. Insgesamt habe ich rund 20 Betriebe in der ganzen Schweiz besucht und habe mich dann auf die fünf, die jetzt im Film vorkommen, konzentriert.
Weshalb haben sie sich nicht auf einen Betrieb konzentriert?
Um verschiedene Haltungen miteinander zu konfrontieren. Das wäre sonst ein ganz anderer Film geworden. Mich hat gerade die Gegenüberstellung interessiert, weil ich damit ein gesamtheitlicheres Bild über die Situation der Bauernschaft erreichen wollte. Ich habe mich aber insofern auf eine Familie konzentriert, als ich Meisters ins Zentrum stelle. Wenn ich die übrigen Betriebe und auch die geschichtlichen Teile einfüge, gehe ich immer von Meisters aus und komme wieder dorthin zurück. Meisters nehmen in ihren Gesprächen ja auch auf die anderen Teile des Films Bezug.
Ein wichtiger Teil Ihres Films befasst sich mit der Geschichte. Warum?
Der geschichtliche Teil bietet eine Vertiefung der Themen an, die im aktuellen Teil behandelt werden. Er bringt zugleich meine Perspektive und meine Interpretation der historischen Entwicklung in den Film ein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich die bäuerliche Bevölkerung von heute besser zu verstehen begann, als ich mehr über ihre Geschichte wusste. Dies wollte ich auch mit dem Zusammenspiel von Geschichte und Gegenwart im Film erreichen. Ich habe mich dabei vor allem auf einen Aspekt konzentriert: auf die unterschiedlichen Funktionen, die die Gesellschaft der bäuerlichen Bevölkerung übertragen hat und weiterhin überträgt. Dies ist einer der Hauptgründe, weshalb um die Bauern ein resistenter Mythos entstanden ist, der auch in der heutigen Diskussion stark präsent ist.
Warum verwenden Sie in ihrem Film Schwarzweiss-Fotos, selbst wenn Sie die neuere Zeit behandeln?
Das ist eine Frage der Konsequenz. Ich hab die analytische Ebene des Films grundsätzlich schwarzweiss gemacht und die konkreten Beispiele der heutigen Bauernfamilien grundsätzlich farbig. Diese Trennung ist mir sehr wichtig. Ich möchte, dass man klar unterscheiden kann zwischen der Interpretation der Autoren und der Teilnahme am Leben und Gedankengut der Bauern und Bäuerinnen. Auch für die geschichtlichen Kommentarteile hätte eigentlich genug Filmmaterial zur Verfügung gestanden. Schon nur in den Ausgaben der Wochenschau findet man stundenlanges Bildmaterial zum Thema Landwirtschaft. Ich fand dieses Material aber für unsere Kommentarteile nicht geeignet, weil das meiste davon in einer propagandistischen Absicht gefilmt worden war. Die Bilder von Theo Frey, Paul Senn, Hans Staub, Walter Studer und anderen Fotografen empfand ich als viel geeigneter, weil sie eine dokumentarische Charakteristik aufwiesen. Für das Zusammenspiel mit dem doch recht komplexen Kommentar erweisen sich Fotografien als das bessere Mittel zur Visualisierung, weil bewegte Bilder zu sehr die Aufmerksamkeit absorbiert hätten. Ich entschied mich daher, die ganze Kommentarebene formal gleich zu gestalten, auch dort, wo sie die neuere Zeit behandelt, benutze ich ausschliesslich Schwarzweiss-Fotos.
Trotzdem haben Sie aber auch historisches Filmmaterial benutzt...
Ich zitiere Ausschnitte aus einer Wochenschau über die Anbauschlacht und aus einer „Tagesschau“ über die Demonstration der Eierproduzenten von 1976. Mit diesem Material will ich die Ausführungen des Kommentars unterstützen und die Athmosphäre der jeweiligen Zeitepoche nachvollziehbar machen. Daneben gibt es auch noch eine subjektive Ebene, die mit dem unterschiedlichen Bauernbildern (Bauern als Staatserhalter, Bauern als Träger der schweizerischen Kultur, Bauern als Querschläger und Demonstranten) spielt. Diese videoclip-ähnlichen Sequenzen dienen vor allem dazu, meine Perspektive in den Film einzubringen. Ich habe den Film ja nicht als Bauer, sondern als Städter gemacht, und das soll auch spürbar sein.
Weshalb haben Sie Patent Ochsner für die Musik ausgewählt?
Das Stück „Ämmital“ hat mir, bereits als ich es das erste Mal gehört habe, sehr gut gefallen, weil es eine Perspektive vermittelt, die mir sehr vertraut ist. Patent Ochsner nehmen darin das traditionelle Emmental-Lied („I bi en Ämmitaler...“) auf, interpretieren es aber so, dass ihre Herkunft (die städtisch geprägte Rock- und Jugendkultur) im Vordergrund steht. Diese Mischung entspricht sehr genau meiner eigenen Situation. Ich wollte ja einen Film über die Bauernschaft machen, ohne meine Herkunft zu leugnen oder selbst zum Bauern zu werden. Die Musik aus dem Stück „Ämmital“ begleitet konsequenterweise die clip-artigen Sequenzen der subjektiven Ebene. Daneben konnte ich Varianten des Stücks „Nachspann“ verwenden, das die Kommentarebene bestens ergänzt.
Warum nehmen Sie in Ihrem Film keine klare Position ein, beispielsweise für oder gegen den GATT-Vertrag?
Das würde dem Film in keiner Weise entsprechen und wäre wohl auch ziemlich langweilig. Mein Film soll eine kritische Zustandsbeschreibung mit analytischem Hintergrund sein. Eine Stellungnahme für oder gegen das GATT, für oder gegen die EU, würde dieser Absicht zuwiderlaufen, denn wir versuchen die Situation der Bauernschaft als Folge von Wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entwicklungen darzustellen. Der neue GATT-Vertrag ist eine ebenso logischen Folge der marktwirtschaftlichen Entwicklung wie das Verschwinden der familienwirtschaftlichen Bauernbetriebe. Selbst wenn die Schweiz den GATT-Vertrag nicht ratifiziert (was sie sich volkswirtschaftlich gesehen kaum wird leisten können), werden die Familienbetriebe weiterhin abnehmen. Gerade weil der Film aber auf der Ebene der Zustandsbeschreibung bleibt, eignet er sich sehr gut dazu, die Diskussion und die Auseinandersetzung mit der Situation der Bauernschaft und der schweizerischen Gesellschaft anzuregen.
Wie beurteilen Sie selbst die Entwicklung in der Landwirtschaft?
Der Übergang von einer kleinstrukturierten Landwirtschaf zum international verknüpften Agrobusiness, der von einem gigantischen Transportaufkommen begleitet ist, erscheint mir aus ökologischer Sicht sehr bedenklich und gefährlich. Diese Entwicklung bedeutet auch einen kulturellen Verlust. Damit meine ich vor allem die Lebens- und Arbeitsweise von Bauernfamilien, die von der Natur und ihrem Rhythmus beeinflusst bleiben. Mit dieser Lebenshaltung, deren Verlust ich sehr bedauern würde, endet im übrigen auch der Film. Im Epilog erzählt Moritz Buchli von seiner Kuh „Ilona“ und erzeugt damit ein Gleichnis über den Kreislauf der Natur, das im krassen Gegensatz zu zur Entwicklung im internationalen Agrarmarkt steht.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Ihrem Co-Autor, Peter Moser?
Ich kenne Peter Moser schon länger, weil wir zusammen studiert haben. Als Historiker forscht er vor allem im Bereich der Landwirtschaft und Agrarpolitik und ist ein Spezialist, der mich als Allrounder und Hobbyhistoriker bestens ergänzt hat. Ich habe ihn von Anfang an als Berater beigezogen. Wir haben alle Bereich des Films zusammen diskutiert und wichtige Entscheidungen gemeinsam gefällt. Während der Entstehungszeit des Films hat er ein historisches Sachbuch geschrieben, das unter dem gleichen Titel wie der Film erschienen ist und sich mit bäuerlicher Politik, Wirtschaft und Kultur in Geschichte und Gegenwart befasst.