Rezensionen / Presse
«Der Skifahrer»
Es gibt Tage, an denen geht einfach alles schief. Während Rosmarie Bärtschi (Maja Stolle) in ihr Kreuzworträtsel vertieft ist, hinterlässt ihr vierbeiniger Mitbewohner Igor eine Pfütze auf dem Boden. Nicht genug damit, dass das Küchenpapier aus ist, nein, als Frau Bärtschi den überquellenden Müllbeutel vor die Tür stellen will, wird sie im Treppenhaus auch noch von einem Skifahrer überfahren!
In der Notaufnahme sorgt der Unfallbericht beim diensthabenden Arzt (Hans Ruchti) für Stirnrunzeln. Vorsichtshalber wird die offenbar verwirrte Frau in die psychiatrische Abteilung überwiesen. Und wider Erwarten gefällt es Rosmarie Bärtschi in der Klinik eigentlich ganz gut. Das Essen ist lecker und reichlich und die Maltherapie stellt eine nette Abwechslung zu den ewigen Kreuzworträtseln dar. Da kann der Skifahrer ruhig noch länger sein - inzwischen imaginäres -Unwesen treiben...
Was anfangs wie ein Thriller anmutet, entpuppt sich am Ende als augenzwinkernde Farce. Martin Guggisberg nimmt mit seinem Kurzfilm «Der Skifahrer» die psychiatrische Praxis ein bisschen auf die Schippe. Indem er das Opfer ungünstiger Verstrickungen zur Nutznießerin der Situation macht, nagt er frech an der Autorität der vermeintlich überlegenen „Halbgötter in Weiß“.
Durch die kontrastierenden Farbeffekte - düster-schummrig in Bärtschis Wohnung, grell-weiß in der Klinik - wird der Zuschauer ebenso geblendet und irritiert wie die Patientin in der Notaufnahme. Aber mit Hilfe von Leinwand, Farbe und Pinsel lässt sich ein steriles Klinikzimmer durchaus wohnlich einrichten. Caramel-Flan und Erdbeer-Sahne-Torte tun ferner das Ihrige dazu, dass Rosemarie Bärtschi die Klinik ihrem Heim bald vorzieht.
Die Geschichte, die Guggisberg in «Der Skifahrer» erzählt, beruht angeblich auf wahren Begebenheiten. Wie viel Wahrheit in der Anekdote stecken mag, ist freilich zweifelhaft. Jedenfalls hat der ambitionierte Regisseur daraus einen leichtfüßigen, kleinen Film gemacht, der das Publikum amüsiert, zugleich aber auch ein bisschen nachdenklich stimmt. Was will man mehr?
Premiere gefeiert hat «Der Skifahrer», der teilweise in den Klinikräumen des Sanatoriums Kilchberg gedreht wurde, am diesjährigen Filmfestival Locarno im Rahmen des Nachwuchswettbewerbs „Léopards de demain“. Zu einer Auszeichnung reichte es leider nicht ganz, das Schmunzeln der Zuschauer war dem Produktionsteam jedoch gewiss.
Tanja Betzmair, Dezember 2005
„Wir wollten keine Klischees über die Psychiatrie bemühen“
Das Sanatorium Kilchberg ist auch Schauplatz im Kurzfilm «Der Skifahrer» von Martin Guggisberg. Ihm war es wichtig, keine Vorurteile über die Psychiatrie zu bestätigen.
Wie sind Sie auf das Sanatorium Kilchberg als Schauplatz gekommen?
Die Produktionsfirma FAMA FILM AG, die den Film produzierte, hat den Ort im Internet entdeckt. Wir wollten ein schönes, helles Psychiatriezimmer als Kulisse.
Weshalb?
Das liegt am Bogen der Geschichte. Sie beginnt damit, dass eine Frau in ihrer einsamen, dunklen Wohnung sitzt. Sie wird, als sie den Müll rausträgt, im Treppenhaus von einem Skifahrer umgefahren. Von der Notaufnahme kommt sie direkt in die Psychiatrie, weil man ihr nicht glaubt. Die Aussicht von dort auf den Zürichsee ist schön, alles ist hell. Ihr gefällt es dort. Sie macht aus ihrem Unglück eine Tugend und wird zur Heldin der Geschichte.
Dafür hätten Sie auch in einer medizinischen Klinik drehen können.
Für den Film war es aber gut, dass wir in einer echten psychiatrischen Klinik gedreht haben. Es sollte alles stimmen, wir wollten keine Klischees bemühen, die über die Psychiatrie existieren. Die hat sich ja sehr verändert, man stellt sich das viel drastischer vor.
Ein anderer Film heisst: «Prinzessin Burghölzli und Prinz Beaujolais». Haben Sie ein Flair für die Psychiatrie?
Sie ist ein gesellschaftliches Kernthema, hat die Schweiz doch eine der höchsten Dichten an Psychiatern. In der Psychiatrie passiert viel Menschliches, auch Lustiges. Ich komme von der Komödie her.
Die siebenminütige Komödie «Der Skifahrer» von Martin Guggisberg wird an den Solothurner Filmtagen vom 16. bis 22. Januar 2006 gezeigt.
Sabine Arnold, Tages-Anzeiger Regional, 7. Januar 2006
«The Flasher From Grindelwald»
Ein nur mit Ledermantel und Skibrille bekleideter „Blüttler“ rennt durch den Schnee und geniesst die Bergwelt, indem er einer Melkerin, einer Kuh und den Bergen sein bestes Stück zeigt. Was plakativ und plump ausfallen könnte, entpuppt sich als äusserst charmante und humorvolle Kurzfilmperle.
Martin Guggisberg greift auf die Slapstick-Ästhetik des frühen Kinos zurück, indem er mittels Fastmotion Ruckelbewegungen erzeugt und diese mit einer entsprechenden Tonspur kombiniert. Er spielt jedoch nicht nur ästhetisch auf diese frühe Filmform an, die ihren Reiz unter anderem aus rasanten, unvorhersehbaren und übermässigen Bewegungsabläufen bezieht: «The Flasher from Grindelwald» thematisiert über den Bewegungsbann hinaus auch die mit dem frühen Kino verbundene Faszination des Sehens und Gesehenwerdens respektive des Sich-Zeigens.
So ist es denn auch nur folgerichtig, dass in Guggisbergs Film die zunächst vom Flitzer bedrängte Melkerin am Schluss selbst aus den Kleidern und in das Exhibitionisten-Outfit steigt, um nun ihrerseits die Bergwelt unsicher zu machen. Am amüsantesten sind diejenigen Momente, in denen sich die Präsentierlust an das menschenleere Bergpanorama richtet: Nicht mehr die Berge zeigen sich dem Touristen, sondern der Tourist zeigt sich Eiger, Mönch und Jungfrau!
Alexandra Schneider, Schweizer Filmindex, 1. Dezember 2001
5 Kurzfilme von Martin Guggisberg
Es ist eine wundersame Welt, die im rund einstündigen Programm mit fünf Kurzfilmen des Berner Filmemachers und Fotografen Martin Guggisberg erkundet werden kann: Da ist zum Beispiel der amüsante Exhibitionist, der in «The Flasher from Berlin» und «The Flasher from Grindelwald» seine kleinen Offenbarungsakte vollführt. Im Zeitraffer flitzt er über die Leinwand, und die Musik hastet mit. Dieses Stilmittel, das an alten Slapstick erinnert, setzt Guggisberg auch bei «Operation Adios» ein: Hier klauen die Pratoganisten – drei gelangweilte Bahnarbeiter auf der Suche nach dem Kick im Leben – im Eilzugstempo Koffer von Reisenden, um mit deren Inhalt in eine neue Existenz zu schlüpfen. Die drei kauzigen Gesellen wollen eigentlich so gar nicht zur verdrechstelten Logik der Geschichte passen, die ganz unangestrengt die Abzweigung hin zum Absurden nimmt – und doch tun sie es, denn im filmischen Universum des Martin Guggisberg mit seinem leichten, flinken und schrägen Humor ist vieles möglich.
Regula Fuchs, Der Bund, 28. Mai 2003