Anmerkungen des Regisseurs Lutz Konermann zum Film
Statement des Regisseurs zum Film
Was mich von vornherein an diesem Stoff fasziniert hat, ist seine Authentizität – in vielerlei Hinsicht. Zum einen stützt er sich in allen wesentlichen Details auf die Knastbiografie einer realen Figur, auf die des Millionenbetrügers Hans-Peter Streit, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren sein Unwesen getrieben hat. Sein komplexer, widersprüchlicher Charakter, seine Zerrissenheit zwischen tiefer Reue und dem Bedürfnis, Verständnis für sich und sein Tun zu wecken, haben mich angespornt, ihm in Buch und Bild gerecht zu werden und seine Geschichte so wahrhaftig wie möglich zu erzählen. Die Geschichte eines talentierten Gefallsüchtigen, der um jeden Preis mehr sein will, als er ist und dabei immer ein bisschen bleibt, was er war: ein grosses Kind auf der Suche nach Liebe und Anerkennung.
Zum anderen ist „Der Fürsorger“ eine Realsatire. Verrückt, aber wahr. Eine Posse aus der Schweizer Provinz über die Blindheit der Menschen im Angesicht des grossen Geldes, über Obrigkeitsgläubigkeit und den Zorn der Kleinen auf die Grossen. Eine rührende Liebesgeschichte auch, in der sich eine aufrichtige Frau in einen notorischen Betrüger verliebt, und dieser es wider Erwarten ehrlicher mit ihr meint als jeder Mann zuvor. Es sind diese persönlichen, zeitlosen Aspekte, die für mich die Seele des Stoffs ausmachen.
Dass der Film durch die jüngste Generation von Hasardeuren und Finanzjongleuren darüber hinaus an thematischer Aktualität gewonnen hat, scheint auf den ersten Blick zwar überraschend, ist aber nicht weiter verwunderlich: Die Madoffs, Ponzis, Behrings, Streits und wie sie auch alle heissen mögen – es gab sie schon immer und es wird sie auch in Zukunft weiterhin geben. Zumindest so lange, wie sich naive und gierige Anleger finden lassen. Mit anderen Worten: ewig.
Anmerkungen des Regisseurs
«Der Fürsorger» ist die Lebensgeschichte des Hans-Peter Stalder, eines Betrügers, der über Jahre hinweg gutgläubigen Anlegern und liebesbedürftigen Frauen weit mehr verspricht, als er bei nüchterner Betrachtung je hätte einlösen können.
Es ist die Lebensgeschichte eines Mannes, der nicht ‚nein’ sagen kann und dem jede Lüge recht ist, wo immer sich ihm Gelegenheit bietet, Aufmerksamkeit, Liebe und Anerkennung zu erheischen – eines Gefallsüchtigen im wahrsten Sinne des Wortes.
Eine freudlose Kindheit ist Anlass für seine Fehlentwicklung und treibt Stalder dazu, sich Ersatzfamilien zu suchen oder zu gründen. Neben der Heilsarmee, einer ersten überstürzten Ehe und gleichzeitigen Liebschaften sind es bald Bedürftige, denen er sich als Fürsorger zuwendet, eine Gemeinde von Gläubigen, denen er als Priesteranwärter von der Kanzel predigt, Schüler, die er in Lebenskunde unterweist, und nicht zuletzt die Grossfamilie seiner Gläubiger und „Angestellten”, die er im Laufe seiner Hochstaplerkarriere um sich schart.
Liest man zwischen den Zeilen seiner Gefängnisaufzeichnungen, die sicherlich nicht frei sind von Beschönigung und Stilisierung, so ist Stalder dabei selber zum grössten Opfer seiner eigenen Gefallsucht geworden – wobei die stete Angst, den Hoffnungen und Projektionen auf ihn und seine Fähigkeiten nicht genügen zu können, zum unaufhaltsamen Motor seiner immer komplexeren Lügenkonstrukte wurde.
Bei aller Aberwitzigkeit jedoch bespiegeln die Etappen seines Lebens durch viele übertragbare Motive auch das unsere: In seiner Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung, seiner Genugtuung ob dem Aufgehen eines Plans, der „Lust am Fabulieren”, am Verbiegen der Realität - und nicht zuletzt in der Faszination, Grenzen zu überschreiten und Verbotenes zu tun.
So bietet die authentische Geschichte vom Aufstieg und Fall jenes Millionenbetrügers nicht nur eine mit Details gespickte Vorlage für eine Realsatire, sondern zugleich das vielschichtige Psychogramm eines ebenso notorischen wie bedauernswürdigen Schwindlers, eines Clowns und Artisten, eines Finanz- und Gefühlsjongleurs.
Entsprechend ihrer Mehrdimensionalität wird die Geschichte Hans-Peter Stalders, des Menschen im Betrüger, von innen heraus, von ihm selber erzählt - in all ihrer Widersprüchlichkeit.
Dabei schaffen Wiederholungen und Analogien thematisch begründete Übergänge zwischen den verschachtelten Zeitebenen, aus denen sich das Mosaik seiner bewegten Vita assoziativ zusammensetzt.
Vom Morgen seiner Verhaftung an, über verschiedene Stadien des Leugnens und der Beschönigung bis hin zur Kapitulation und Läuterung begleiten wir den „Fürsorger“ auf seiner Reise durchs Fegefeuer.