Rezensionen / Presse zu «Das Schiff des Torjägers»
Filmecho Filmwoche, 6. August 2010
Der afrikanische Jungfußballer Jonathan Akpoborie wird zum Torschützenstar der deutschen Bundesliga. Doch im April 2001 nimmt seine Karriere ein jähes Ende, als bekannt wird dass er Besitzer eines Fährschiffes ist das in Afrika illegal Kinderarbeiter verschiffte. Geschickt widmet sich die Schweizer Regisseurin und Drehbuchautorin Heidi Specogna in ihrem aufschlussreichen Dokumentarfilm den Schicksalen hinter den Schlagzeilen und Medienattacken. So folgt sie der Spur des Schiffswracks Etireno, lässt neben Akpoborie auch die von ihren Eltern zum Arbeiten verschickten Kinder, Vertreter von Unicef und dem deutschen Fußballbetrieb zu Wort kommen und offeriert damit ein vielfältiges Bild von Bruchstellen und Wendepunkten. Dank der investigativen Qualitäten und intensiven Recherchen eröffnet sich das wahre Ausmaß der Geschichte. Soziale Ungerechtigkeit, der ambivalente Umgang mit Notsituationen und der Ware Mensch spielen sich auf zahlreichen Ebenen auf der ganzen Welt ab Ein ebenso brisantes wie beinahe auch poetisches Dokument über korrupte soziale Strukturen.
Reinhard Kleber, Filmecho Filmwoche, 19. November 2010
Wieviel heiße Luft hinter reißerischen Überschriften in bunten Blätter steckt, zeigt einmal mehr der Dokumentarfilm „Das Schiff des Torjägers“ der erfahrenen Schweizer Regisseurin und Autorin Heidi Specogna. Auf der Basis jahrelanger Recherchen rekonstruiert sie facettenreich die Hintergründe eines angeblichen Kinderhandel-Skandals um den nigerianischen Fußballer Jonathan Akpoborie. Den Fall selbst kann auch sie nicht aufklären.
Im April 2001 schreckten Meldungen aus Westafrika die deutsche Fußballszene auf. Darin ging es um eine alte Fähre, die vor der Küste Gabuns aufgebracht wurde. Angeblich sollte das Schiff hunderte schwarzafrikanischer Kinder als billige Arbeitskräfte nach Benin schaffen. Die Kinderhilfsorganisation Terre des hommes geißelte den Transport als modernen Kinderhandel, während die örtlichen Behörden behaupteten, die Kinder bettelarmer Eltern seien gemäß afrikanischer Tradition zur Arbeit zu besser gestellten Verwandten geschickt worden. Zum Medienereignis wurde die Affäre, als bekannt wurde, dass die Fähre dem nigerianischen Torjäger Jonathan Akpoborie vom Bundesligaverein VfL Wolfsburg gehörte. Als der Sponsor VW kalte Füsse bekam, war Akpoborie den lukrativen Job los. Eine Schuld konnte ihm aber nie nachgewiesen werden. Er hatte das Schiff zur Versorgung seiner Familie gekauft, seine Brüder führten das operative Geschäft.
Auf drei Ebenen rollt Specogna, die für ihren vielgelobten Dokumentarfilm „Das kurze Leben des Jose Antonio Gutierrez“ 2006 den Grimme-Preis erhielt, den Fall auf. Sie schildert die Geschichte des Schiffs, sie porträtiert den Stümer, der nun als Spielervermittler sein Geld verdient, und sie fragt was aus einem togolesischen Mädchen und einem beninischen Jungen wurde, die damals auf dem Schiff waren.
Die drei Erzählstränge sind nur lose verbunden, so dass der Film seltsam unentschlossen wirkt. Einerseits gelingt es Specogna zwar, die Mechanismen eines Transfersystems aufzuzeigen, in dem Kinder zur Handelsware werden – ob als Arbeitssklaven oder als Kickertalente fürs reiche Europa. Andererseits kann auch sie die Hintergründe nicht ausleuchten, schon weil sie Akpobories Brüder nicht vor die Kamera bekommt.
Auch über die Verantwortung der Medien, die eine Karriere im Handumdrehen vernichten können, hätte man gern mehr erfahren, wie auch über die Rolle europäischer Hilfswerke, die die soziale Realität nur aus westlicher Perspektive betrachten und so afrikanische Traditionen missachten.
Stefan Volk, Filmdienst, 25. November 2010
Das Schiff des Torjägers
Mit wehmütigem Blick schaut Jonathan Akpoborie auf das Tor im leeren Stadion des VfL Wolfsburg, in das er einst den Ball köpfte. Hier in der VW Stadt habe er den Code zum Tore schießen besessen, erinnert sich der ehemalige Fußballprofi an eine glückliche Zeit, die er dennoch lange aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte, weil sie so jäh und schmerzlich für ihn endete.
Im Frühjahr 2001 wurde der damals 32-Jährige auf Druck des VW Konzerns vom VfL suspendiert. Damals sorgten Meldungen für Schlagzeilen, Akpoborie sei Besitzer eines Sklavenschiffs. Im April war die „Etireno“ vor Gabun aufgebracht worden, weil sich darauf illegale Einwanderer befanden, darunter etliche Kinder, die von ihren Eltern als Arbeitskräfte verkauft worden waren. Das Schiff trug den Namen der Mutter Akpobories, der die ehemalige dänische Fähre für seine Familie erstanden hatte. Terre des Hommes machte öffentlichkeitswirksam gegen den Kinderhandel Front und der VfL Wolfsburg trennte sich von seinem nigerianischen Stürmerstar, weil Hauptsponsor VW nicht in Verruf geraten wollte.
Den Torjäger-Code knackte Akpoborie daraufhin nie wieder. Seine Spielerkarriere war praktisch beendet. Viermal noch lief er in der 2. Liga für den 1. FC Saarbrücken auf; ein Tor erzielte er nicht mehr. Akpoborie konnte nie nachgewiesen werden, dass er in irgendeiner Form an den Vorfällen um die „Etireno“ beteiligt war. Seine einzige Verbindung war, dass ihm das Schiff gehörte und sein Bruder es verwaltete.
Die Schweizer Regisseurin Heidi Specogna („Das kurze Leben des Jose Antonio Gutierrez, fd 37942“) rekonstruiert die Vorfälle von damals nicht nur aus Akpobories Perspektive: Auch zwei Kinder, die an Bord der „Etireno“ waren, berichten von ihren Erlebnissen. Mehrere hundert Kindersklaven seien auf dem Schiff gewesen, hatte es 2001 in den ersten Meldungen geheißen. Diese Zahl reduzierte sich anschließend immer mehr. Von 43 Kindern und Jugendlichen war am Ende die Rede. Auch die Sache mit dem Sklavenhandel erwies sich auf den zweiten Blick als komplexer Viele der Passagiere der „Etireno“ wollten im vergleichsweise wohlhabenden Gabun ihr Glück machen.
Auch Akpoborie hatte einst als Jugendlicher Familie und Heimat verlassen, um im Ausland eine Laufbahn als Fußballer zu beginnen. Alles also halb so wild?
Heidi Specogna versucht mit ihrem bewegenden Film nicht herauszufinde, was damals unterm Strich wirklich passierte. Strengen journalistischen Ansprüchen hielte ihre Dokumentation nicht stand. Zu wenig beleuchtet sie die Hintergründe, zu kurz nur streift sie die Fakten. Stattdessen verwebt sie Eindrücke und Erlebnisse zu einer nachdenklichen Geschichte, die subjektive Wahrheiten über dem Strich miteinander verknüpft. In diesem virtuellen Filmraum begegnen sich auch zwei der Kinder wieder, die damals von ihren Eltern nach Gabun geschickt worden waren. Adakou und Nouman tauschen über die Tonaufnahmen der Filmcrew ihre Erinnerungen an die traumatischen Erfahrungen, die sie miteinander teilten, aus, ohne sich persönlich wiederzutreffen. Dennoch scheinen das Mädchen aus Togo und der Junge aus Benin einander in diesen Momenten näher zu stehen als Mutter und Tochter oder Vater und Sohn, die sich jeweils im selben Bild befinden. Dass die Eltern ihre Kinder gegen deren Willen weggeschickt hatten, hinterließ Wunden, die nie verheilten.
Die narrative Brücke zwischen Adakou, Nouman und Jonathan Akpoborie bildet in gewisser Weise das Schiff „Etireno“ selbst. Papa Dora, der „Schiffswächter“, der das Wrack der mittlerweile leckgeschlagenen Fähre bewacht, besetzt als Erzählerfigur die Nahtstelle zwischen den Welten. Doch auch wenn Heidi Specogna und ihr Team formal im Hintergrund bleiben, beschränkt sich der handwerklich solide aber auch ein wenig bieder inszenierte Film keineswegs darauf zu beobachten. Nicht nur führt er Adakou und Nouman im̈bertragenen Sinne wieder zusammen, sondern er arrangiert auch eine Begegnung zwischen Akpoborie und Peter Pander, dem damaligen Manager des VfL Wolfsburg. Ein unabhängigerer Verein als der VW Klub resümiert Pander, hätte Akpoborie vielleicht nicht so schnell wegen unbewiesener Anschuldigungen fallen lassen. Akpoborie hört schweigend zu und schaut dabei so traurig aus, als dächte er gerade über all die Tore nach, die er nicht mehr erzielen konnte.
Der Dokumentarfilm spürt der „Etireno“ nach, einem Schiff des aus Nigeria stammenden Fußballspielers Jonathan Akpoborie, das 2001 als Sklavenschiff Schlagzeilen machte, weil mit ihm Kinder, die von ihren Eltern als Arbeitskräfte verkauft worden waren, aus Nigeria ins Ausland transportiert wurden Obwohl Akpoborie bis auf seine Eigentümerschaft eine Verstrickung nicht nachgewiesen werden konnte, wurde er von seinem Bundesliga-Verein in Wolfsburg entlassen. Ohne den Anspruch nachträglich für Aufklärung sorgen zu wollen, lässt der Film Beteiligte der Affäre zu Wort kommen. Vor allem die Aussagen ehemaliger Kinder, die auf der Etireno transportiert wurden, eröffnen dabei interessante Einsichten und Denkanstöße.
Matthias Reichelt, Junge Welt, November 2010
Die erste Einstellung zeigt Jonathan Akpoborie, den einstigen nigerianischen Stürmer beim VfL Wolfsburg, inmitten des leeren Stadions. Die Kamera folgt seinem Blick über das Spielfeld und die leeren Ränge, während er sich an seine große Karriere erinnert, die 2001 abrupt ihr Ende fand. Der Dokumentarfilm von Heidi Specogna erzählt die Geschichte eines erfolgreichen Fußballspielers, der mit seiner Gage eine alte dänische Fähre erwarb und sie als Transferleistung zur Existenzsicherung seiner Familie 2000 in Nigeria übergab. Akpoborie hatte das Schiff auf den Namen seiner Mutter, Etireno, getauft. 2001 geriet die Etireno als „Kindersklavenschiff“ in den Fokus internationaler Medien. Das Schiff verkehrte im Golf von Guinea zwischen Nigeria, Togo und Benin und transportierte Kinder zu ihren jeweiligen Einsatzorten, nachdem die Eltern sie an Vermittler verkauft hatten, um sich und ihrer Restfamilie das Überleben zu sichern. Im April 2001 wurde das Schiff vor Gabun aufgebracht, die Kinder befreit und das Schiff in den Heimathafen Cotoneu in Benin zurückgebracht. Nachdem bekannt geworden war, dass das Schiff von den Gagen eines Bundesligaspielers bezahlt worden war, zeigten die Medien, die sich ansonsten nicht sehr um Kinderarbeit kümmern, ein besonderes Interesse. Terre des Hommes nutzte den Medienhype um Jonathan Akpoborie für eine Kampagne, um auf das Geschäft mit Kinderarbeit und -sklaverei aufmerksam zu machen. VfL Wolfsburg trennte sich sofort von Jonathan Akpoborie, dessen Bundesligakarriere damit zu Ende war. „Zwanzig Jahre meines Lebens haben die in 15 Minuten kaputt gemacht“, so das bittere Resümee von Jonathan Akpoborie. Heute arbeitet er als Scout, der talentierte Spieler in Afrika entdeckt und an Vereine vermittelt.
Heidi Speconga versucht mit ihrem Film Licht in die komplizierte Mischung aus europäischer Gutmenschenhaltung und Scheinheiligkeit einerseits und der bitteren Realität von Kinderarbeit in vielen afrikanischen Staaten zu bringen. Die gängige Praxis in vielen der kinderreichen Familien ist es, Kinder – oftmals die Jüngsten, die sich nicht wehren können – als Ware an Vermittler und damit in eine andere Obhut zu geben, damit sie so zum Überleben der Familie beitragen und sie gleichzeitig entlasten. Diese Praxis anzuprangern ist einerseits richtig und andererseits scheinheilig, wenn an den grundlegenden Bedingungen der Verteilung von Lebensmitteln und anderen Ressourcen nichts geändert wird. Und an der Situation der afrikanischen Staaten ist die so genannte erste Welt, deren Medien und NGOs die Kinderarbeit so vehement kritisieren, nicht unschuldig. Jean Ziegler weist bei jeder Gelegenheit mit Recht darauf hin, dass die verheerende Armut in weiten Teilen der Welt ohne große Anstrengung beseitigt werden könnte. Was fehlt, ist der politische Wille. Zwei ehemalige Kindersklaven von der Etireno, Adakou und Nouman, hat Heidi Specogna gefunden und lässt sie über ihre traumatischen Erfahrungen berichten. Bis heute können sie ihren Eltern nicht verzeihen, sie weggegeben zu haben. Adakou und Nouman leben aber wieder zu Hause. Die Etireno ist nur noch ein Wrack und liegt vor der Küste Benins, strengstens bewacht von Papa Dora, der zu diesem Zweck eine Hütte am Strand bewohnt. Der Stahl ist wertvoll und soll zurück nach Europa verkauft werden, wenn der heutige Besitzer das notwendige Geld für die Bergung aufgetrieben hat.
Es sind faszinierende Bilder, die der Kameramann Rainer Hoffmann eingefangen hat und die über die verschachtelte und manchmal schleppende Erzählung hinweghelfen. Weder Jonathan Akpoborie, der bis heute glaubwürdig versichert, keine Ahnung vom Einsatz der Etireno gehabt zu haben, noch jemand anderes seiner Familie wurden belangt. Von dem Ergebnis des Gerichtsverfahrens und den gefällten Urteilen erfährt der Zuschauer jedoch nichts. Die Kommunikation zwischen den weit voneinander entfernt lebenden Adakou und Nouman mittels Kassetten nutzt Heidi Speconga, um die Kinder in ihrem jeweiligen Dorf beim Anhören der Kassetten zu zeigen. Der Zuschauer ist geneigt, dies für einen Regiekniff zu halten, später im Gespräch mit Rainer Hoffmann war jedoch zu erfahren, dass die Kinder sich schon lange vor den Dreharbeiten für diese Kommunikationsform entschieden hatten.