Anmerkungen der Regisseurin Heidi Specogna zu «Das Schiff des Torjägers»
Der Film „Das Schiff des Torjägers“ erzählt eine Geschichte von heute und bedient sich dabei einer Geschichte von gestern: des Skandals um die „Etireno“.
Im April 2001 wurde das Schiff „Etireno“ vor Gabun aufgebracht und zurückgeschickt in den Heimathafen Cotonou in Benin. An Bord waren zahlreiche Kinder, die als Arbeitskräfte nach Gabun gebracht werden sollten. Kinderhandel nach Meinung von Terre des Hommes, afrikanische Tradition nach Meinung der Landesregierung. In Europa machte die Geschichte Furore, weil der Besitzer des Schiffs der nigerianische Torjäger Jonathan Akpoborie war. Er spielte damals für den VfL Wolfsburg, der ihn umgehend entließ.
Im Film „Das Schiff des Torjägers“ geht es um Handelskreisläufe, um den Austausch von Handelsgütern: mal ist es Stahl, mal ist es die Ware Mensch. Waren, die an ihrem Bestimmungsort mehr wert sind als an ihrem Herkunftsort. Seien es eine ausrangierte dänische Inselfähre, ein afrikanisches Fußballtalent oder Kinder, die verschickt werden, weil ihre Familien hoffen, so überleben zu können.
Die Protagonisten unseres Films sind Teil dieser Handelskreisläufe. Sie kommen an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Positionen ins Spiel. An ihren Erfahrungen entlang erzählt der Film; er verwebt ihre Geschichten miteinander und schaut, wohin die „Etireno“ sie getragen hat.
Dabei gibt es drei Erzählstränge: die Geschichte des Schiffs selbst, die Geschichte der Kinder Adakou und Nouman, die an Bord der „Etireno“ waren und die Geschichte Jonathan Akpobories.
Die „Etireno“ kam 2000 aus eigener Kraft nach Afrika. Der Torjäger Jonathan Akpoborie hatte sie seiner Familie gekauft, um deren Lebensunterhalt zu sichern. Nachdem die Fähre Kindersklaven transportiert hatte, dümpelte sie im Hafen von Cotonou. Bis sie schließlich leck schlug, verkauft wurde und nun auf ihre Verschrottung wartet. Der Stahl des Schiffsrumpfs wird nach Europa zurückkehren. Hier braucht man dringend Stahl.
Die Kinder gerieten durch Vermittler auf die „Etireno“. Was sie von dieser Reise erzählen, lässt den Erwachsenen in den Dörfern immer noch den Atem stocken. Doch wie ist das Leben weitergegangen? Welche Perspektiven haben sie, seit Terre des Hommes sie von Bord geholt und gerettet hat? Wo sehen sie ihre Zukunft? - Und was hat Terre des hommes seit jenen Tagen erreicht im Kampf um Kinderrechte und in der Auseinandersetzung mit staatlichen Stellen?
Jonathan Akpoborie ist aus dem Zenit der Bundesliga in die Versenkung geschickt worden. Wegen eines Verdachts, der sich nie beweisen ließ. Kein Wunder, dass es ihm nicht leicht fällt, aus diesen Tagen zu erzählen. Wichtiger ist die Reflexion darüber, wie man als Afrikaner in Europa überlebt, wie sich die Spielregeln der europäischen und die der afrikanischen Gesellschaft zusammenbringen lassen. Wenn es überhaupt gelingen kann .... Akpoborie bleibt im Kreislauf, allerdings an anderer Stelle. Er, der einst wie viele afrikanische Fußballtalente von einem Scout entdeckt wurde, arbeitet jetzt selbst als Spielervermittler.
Der Film „Das Schiff des Torjägers“ erzählt eine Geschichte, die in Afrika (Benin, Togo, Nigeria) und in Europa (Deutschland und Schweiz) spielt. Die Namen der Kontinente bezeichnen aber nicht nur Drehorte, sondern stehen für Lebenskonzepte und für Vorstellungen vom Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier der Versuch, möglichst individuell wahrgenommen zu werden, die eigenen Interessen zu erkennen und zu verfolgen – dort die Vorstellung, eingebunden zu sein in ein Netz von Beziehungen, die zwar Halt bieten, vor allem aber Verpflichtungen und Abhängigkeiten mit sich bringen. Hier wird beglückwünscht und bejubelt, wer Erfolg hat– dort wird der Erfolgreiche beneidet und gegebenenfalls verhext, wenn er die Früchte seines Erfolgs nicht umgehend mit allen teilt: so lange, bis er auf einem Niveau mit den anderen ist.
Der Film erzählt von Bruchstellen und Wendepunkten. Sie finden sich dort, wo sich ein afrikanisches Fußballtalent zum gefeierten Torjäger der Bundesliga entwickelt und versucht, seinen afrikanischen Verpflichtungen auf europäische Weise gerecht zu werden. Statt alle zu beschenken, kauft er ihnen eine Fähre: Hilfe zur Selbsthilfe. Oder dort, wo Vermittler in die armseligen Dörfer in Benin kommen, um den Eltern ihre Kinder abzuschwatzen, die angeblich im reichen Nachbarland Geld für alle verdienen können. Noch eine Bruchstelle: Eine Hilfsorganisation, die Kinder in Obhut nimmt, die von der Fähre eines Fußballers auf der Fahrt nach Gabun aufgebracht wurden, schafft es, die Gesetzgebung in Benin zu beeinflussen. Andererseits gerät sie aber in die internationale Kritik, weil sie sich als europäische Institution in die afrikanischen Belange einmischt.
Und das Schiff? Noch liegen seine Reste verborgen unter dem Sand am Strand von Benin. Sobald ihr neuer Besitzer genug Geld hat, soll sie geborgen werden: mit schweren Maschinen herausgezogen, zerteilt, schließlich in Lastwagen abtransportiert und tonnenweise verkauft. Bis dahin hält der Strandwächter Papa Dora ein waches Auge auf die rostenden Schrottteile. In seiner improvisierten Hütte hat der alte Mann tagelang auf die wenigen aus dem Wasser ragenden Schiffsteile gestarrt und sich seine Gedanken gemacht: über das Schiff, das Meer, das Vergängliche und die Kreisläufe, in denen das Leben von Menschen und Dingen abläuft.