Rezensionen / Presse zu «cattolica»



Nicole Kühne, www.filmstarts.de

Eine trendige Bar, intensive Blicke zwischen Barkeeper und Gast, ein wenig Geplänkel, und dann eine gemeinsame Nacht. Stefan (Lucas Gregorowicz) nimmt das Leben, wie es kommt, macht sich nicht allzu viele Gedanken, und tut was er will, auch gegen Konventionen. Seine nächtliche Begegnung mit dem stillen Martin (Merab Ninidze) beginnt für ihn in Rudolph Julas Drama «cattolica» als amouröses Abenteuer und führt ihn schließlich auf völlig unbekannte Wege…

Das Erwachen kommt unerwartet und heftig: Martin zieht ein Kuvert aus der Tasche, dessen Inhalt Stefans Leben auf den Kopf stellen wird. Martin Mutter hat kurz vor ihrem Tod einen Brief an Stefan geschrieben – denn er war ebenfalls ihr Sohn. Da sie dieses zweite Kind nach der Geburt zu Adoption freigegeben hatte, wussten die Brüder bisher nichts voneinander und lebten vollkommen getrennte Leben. Die unvermutete Beichte der großen Lebenslüge ihrer Mutter macht die beiden nun zu einem unfreiwilligen Gespann, das sich auf die Suche nach dem Vater macht. Die Spuren führen nach Italien, in den Ferienort Cattolica. Schon die Reise dorthin ist konfliktgeladen. Während Stefan die Sache hauptsächlich als abwechslungsreiches Abenteuer nimmt, zieht Martin sich in nachdenkliches Schweigen zurück. Obwohl das gleiche Blut in ihren Adern fließt, scheint den beiden Brüdern nichts gemein zu sein.

In Cattolica kehren bei Martin Erinnerungen zurück, die sich außer auf wenige Urlaubsfotos, zwei Briefe und eine versteinerte Muschel auf nichts stützen können. Zu wenig, um die heimliche Liebe der Mutter ausfindig zu machen. Für den sachlichen Martin steht nach zwei Tagen fest, dass der Mann, der ihrer beider Väter ist, ein Geheimnis bleiben wird. Auch wenn fest steht, dass ihre Mutter ihn in diesem Sommer des Urlaubs in Cattolica getroffen haben muss, will er die Suche nach einem Stück seiner eigenen Lebensgeschichte abbrechen. Für Stefan indes ist die Reise inzwischen zu einer Suche nach seiner Identität jenseits seines bisherigen unbeschwerten, aber auch unsteten Lebens geworden. Keiner der Brüder kann die Gefühle und Beweggründe des anderen verstehen, so dass sie, hilflos gestrandet am Bahnhof von Cattolica, in Streit geraten. Da macht Stefan eine Entdeckung, und beide machen sich auf, ihre Vergangenheit zu suchen, von der sie nur wissen, dass sie ihnen gemeinsam ist.

Der Weg, den das ungleiche Geschwisterpaar zu nehmen hat, wird gleichermaßen durch innere und äußere Gegebenheiten bestimmt. Während sie sich durch vage Hinweise wie Detektive einen Weg durch die verschüttete Lebensgeschichte ihrer Mutter bahnen, entdecken sie auch ihre eigenen Persönlichkeiten neu. Nach und nach stellen sie sich immer weniger blind gegenüber den Charaktermerkmalen, die sie am jeweils anderen so sehr befremdlich finden und die sie an sich selbst nicht zulassen, nicht sehen wollen. Ohne dies je explizit zu artikulieren, merken beide Männer, wie sehr sie Produkt ihrer Umwelt und Erziehung sind. In der von fast allen Ablenkungen freien Umgebung finden auch sie zurück zu ihren Ursprüngen.
Regisseur und Autor Rudolph Jula bemüht für diese Geschichte einer holprigen und späten Familienzusammenführung weder tränenschwere Dramatik noch eruptive Emotionalität. Er begleitet unauffällig zwei Menschen bei einer wichtigen persönlichen Entwicklung. Nicht mehr und nicht weniger. Folgerichtig übt sich auch die Kamera in Zurückhaltung und übernimmt die Perspektive eines nahen, aber nie aufdringlichen Betrachters. Ruhig ruht sie auf dem Geschehen, ohne dabei Langeweile oder Eintönigkeit aufkommen zu lassen. Der Rhythmus, in dem die Bilder geschnitten sind, ergänzt sich mit dem Inhalt zu einer harmonischen Gestalt. Die trotz aller Konflikte angenehm leichte Grundstimmung wird durch das milde Licht und die wild-romantische Landschaft Italiens intensiviert. Die Entscheidung der deutschen Produktion, den wesentlichen Teil in südlichere Gefilde zu verlegen, stellt dem Brüderpaar regelrecht einen Mentor zur Seite, der wie ein Akteur die Handlung an entscheidenden Punkten weiter treibt. Die Musik von Armin Pommeranz setzt subtile Stimmungspunkte, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. In der gleichen Weise agieren auch die Darsteller. Ohne jede Affektiertheit lassen sie den Zuschauer teilnehmen an ihrer Reise, die im Äußeren den inneren Weg abbildet. Das Ganze kommt so unaufgeregt daher, dass man sich fragt, was einen so mit hineinzieht in diesen Film. Es ist gerade die Stimmigkeit der einzelnen Elemente, die jede (Ver-)Störung verhindert und deshalb so schön anzusehen ist.

Manches wird in der erholsamen Urlaubsstimmung, die «cattolica» verströmt, zu leicht in Wohlgefallen aufgelöst. Das Einverständnis mit dem Verhalten der Mutter, das ja gravierenden Einfluss vor allem auf Stefans Leben hatte, wird von beiden Brüdern kaum hinterfragt gegeben. Aggression kommt kaum vor bei ihnen, weder gegen die Menschen, denen sie begegnen, noch gegenüber ihrem Schicksal oder untereinander. Konflikte in diesem Kosmos nehmen keine brachiale Gestalt an, sie sind gedämpft von einer tief sitzenden Melancholie. So verkörpern die Figuren ein Ideal, das nicht kämpft um etwas, das ohnehin verloren ist und hinter dem Verhalten eines jeden Menschen grundsätzlich einen akzeptablen Beweggrund sieht. Wenn die beiden Brüder im siedend heißen italienischen Hinterland einmal nicht wissen wohin, beginnen sie einfach damit, einen Fuß vor den anderen zu setzen, immer in der Gewissheit, dass dort anzukommen, wo sie das Schicksal hinführt, schon richtig sein wird. Auch wenn dieses Ideal in seiner Reinform nicht ganz realistisch ist, wünscht man sich und anderen öfter ein wenig von dieser Gelassenheit. Dass es Menschen gibt, die dieses Ideal hochhalten und in harmonische Bilder packen, ist irgendwie beruhigend.

Karin Müller, www.mybasel.ch

Zwei Brüder auf Reisen

Die Suche nach dem unbekannten Vater führt zwei ungleiche Männer nach Italien und zu sich selber.

Nach dem Tod seiner Mutter findet Martin (Merab Ninidze) ein Fotoalbum mit zwei Briefen. In ihnen erzählt die Mutter von ihrer Liebe zu einem italienischen Gastarbeiter, und Martin erfährt, dass er einen Bruder hat, der bei Adoptiveltern aufgewachsen ist. Auch Stefan (Lucas Gregorowicz) hat keine Ahnung von der Existenz Martins. Die beiden ungleichen Brüder führen völlig verschiedene Leben. Der verschlossene Martin ist Vater und geschieden, der verwöhnte Stefan jobbt in einer Szene-Bar und geniesst das Leben. Zusammen fahren sie nach Italien, um den Vater zu suchen.

Als Road-Movie mit wenig Dialog erzählt Rudolph Jula die Geschichte einer Identitätssuche und Brüder-Beziehung. Als Martin und Stefan in Italien angekommen sind, stellen sie sich vor, wie anders ihr Leben verlaufen wäre, wenn die Mutter dem Geliebten gefolgt und sie zusammen in diesem Land aufgewachsen wären. Mit der Wirklichkeit setzt sich jeder auf seine Weise auseinander.

Man spürt das Bemühen des Regisseurs, keinen Klischees zu erliegen. Dass die Gefahr vorhanden ist, deutet schon der Titel an. Cattolica, der berühmte Badeort an der Adria, lässt sofort Bilder einer italienischen Postkarten-Idylle aufsteigen. Auch das Thema der Männerfreundschaft zeigt in den meisten Filmen ein stereotypes Handlungsmuster: Man beschnuppert sich misstrauisch und rauft sich am Ende zu unzertrennlichen Kumpels zusammen. Nichts davon ist in «cattolica» zu sehen. Das italienische Hinterland ist karg, die Brüder nähern sich zwar an, zu dicksten Freunden werden sie aber (noch) nicht.

Höchstens ein leiser Hauch von Nostalgie, die an Italienreisen in den Sechzigerjahren erinnert, ist zu spüren. Dennoch vermag Julas Film nicht recht zu überzeugen. Die beiden Hauptfiguren bleiben zu blass. Ihre Motivation, sich auf die Suche nach dem Vater zu machen, ist zwar intellektuell nachvollziehbar, nicht aber gefühlsmässig. Es macht eine Geschichte sicher grundsätzlich interessanter, wenn manches nur angedeutet, statt alles ausgeprochen wird. Was jedoch Jula in «cattolica» über seine Helden preisgibt, ist zu wenig, um die Spannung zu halten.

Francesco Laratta, www.cinemabuch.ch

„Stell dir vor, wir wären hier aufgewachsen. Wir würden Italienisch sprechen und wären wahrscheinlich stockkatholisch. Wir würden genauso aussehen, wären aber ganz andere Menschen.“ Irgendwo im südlichen Italien stehen Stefan (Lucas Gregorowicz) und Martin (Merab Ninidze) inmitten eines pittoresken Dörfchens – vor ihnen erstreckt sich ein friedliches Postkartenidyll. Vor zwei Tagen noch kannten sich die zwei Deutschen nicht einmal, nun reisen sie gemeinsam, auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater, quer durch Italien.
Nach anfänglichen Missverständnissen – Stefan sah in seinem Bruder vorerst einen potenziellen One-Night-Stand –, einer langen Autofahrt Richtung Süden und einem kurzen Aufenthalt im von Touristen überlaufenen Cattolica sind die zwei Suchenden in der ländlichen Umgebung des Städtchens angekommen. Irgendwo hier lebt wahrscheinlich ihr Vater, von dessen Existenz sie ihr Leben lang nichts wussten. Erst nach dem Tod der Mutter, beim Räumen ihrer Wohnung, fielen Martin ein Liebesbrief auf Italienisch, ein Fotoalbum und ein weiterer Brief in die Hände, adressiert an Stefan, den die Mutter damals kurz nach der Entbindung zur Adoption freigegeben hatte – genau neun Monate nach den Strandferien in Cattolica. Dieser Brief offenbart Martin, dass er kein Einzelkind ist, sowie die Wahrheit über seinen leiblichen Vater, einen italienischen Gastarbeiter namens Giuseppe (Giacinto Ferro).

Rudolph Jula, Drehbuchautor und Regisseur, erzählt in «cattolica» die Geschichte einer Vatersuche zweier ungleicher Brüder. Emigration, Scheidung, Adoption – Martin und Stefan sehen sich plötzlich mit grundlegenden Identitäts- und Familienfragen konfrontiert. Julas Interesse gilt dabei insbesondere den Sehnsüchten, die durch das Aufreissen traditioneller Familienstrukturen und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen geweckt werden. Entsprechend steht die schwierige Beziehung der beiden Protagonisten, die aus vollkommen unterschiedlichen Lebenswelten stammen, im Mittelpunkt. Der lockere, den Sinnesfreuden nicht abgeneigte Barkeeper Stefan und der eher introvertierte, geradlinige Martin sind sich zu Beginn nämlich nicht gerade sympathisch.
Mit viel Feingefühl begleitet Jula die beiden Brüder auf ihrer Reise, die sie aus einer inneren Notwendigkeit anzutreten scheinen. Ihre eher zögerliche Annäherung, ihre Streitigkeiten und schliesslich die daraus resultierende Freundschaft beziehungsweise Bruderschaft finden Ausdruck in pointierten Dialogen und eindrücklichen Bildern.

Schliesslich entpuppt sich die tatsächliche Begegnung mit ihrem leiblichen Vater als eher nebensächlich – in Wahrheit ist die Reise unabhängig vom Ziel eine biografische Standortbestimmung. So weckt sie in Martin, nach seiner Scheidung in Sachen Liebe leicht verbittert, wieder Lust auf romantische Gefühle – ein nachhaltiger Flirt zeugt davon. Stefan freut sich auf die Rückkehr nach Deutschland. Nicht nur hat er einen Bruder gewonnen, auf ihn wartet auch sein Neffe, mit welchem der frischgebackene Onkel das heimische Fussballstadion unsicher machen wird.

Blickpunkt: Film

Ein berührender Film über die Identitätssuche zweier sehr unterschiedlicher Brüder

Filmecho / Filmwoche

Die beiden Brüder, die sich zu Beginn der Geschichte kennen gelernt haben, müssen erkennen, dass Cattolica nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vergangenheit ist.

SIDE B