Hintergrund: Die Tunisreise von Paul Klee und seinen Malerfreunden
«Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht mehr nach ihr zu haschen.»
Die knapp dreiwöchige Reise, welche die drei Malerfreunde Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet auf Einladung des dort wohnhaften Berner Arztes Ernst Jäggi im April 1914 unternommen haben, ist zu einem kunsthistorischen Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts und zu einem Mythos der Moderne geworden.
Ein Mythos, überstrahlt von der Aura des Fremden und Exotischen, vom Schein des Lichts und der Farben - ein Mythos, den Paul Klee selbst mit seinem berühmt gewordenen Tagebucheintrag begründet hat: «Ich lasse jetzt die Arbeit. Es dringt so tief und mild in mich hinein, ich fühle das und werde so sicher, ohne Fleiss. Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht mehr nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.»
Angesichts der Fülle der Farben und der Intensität des natürlichen Lichts der nordafrikanischen Landschaft gelangen Klee eine Reihe zarter Aquarelle von eindrücklicher Klarheit und Leuchtkraft.
Klee, der als Zeichner über Jahre sehr selbstkritisch gegenüber seiner Arbeit als Maler gewesen war, sah in den Tunisaquarellen seinen eigentlichen “Durchbruch” zur Farbe. Aus heutiger Sicht ist diese Ausschliesslichkeit zu relativieren, wissen wir doch, dass der Künstler – unter dem Eindruck von Robert Delaunays Farbkonzept des Orphismus – schon vor seiner Reise nach Tunesien Aquarelle geschaffen hat, die sich technisch, aber auch formal und hinsichtlich ihrer Farbpalette kaum von den in Nordafrika entstandenen Arbeiten unterscheiden.
Während des knapp zweiwöchigen Aufenthalts in Tunesien, wo Klee, Macke und Moilliet Tunis, Sidi Bou Said, Hammamet und Kairouan besuchten, malte Klee etwa 30 Aquarelle. Der Künstler beschäftigte sich nach seiner Rückkehr jedoch weiter mit dem Thema, so dass die Anzahl der auf Tunesien verweisenden Arbeiten wesentlich höher liegt. So hat Klee am Blatt «Teppich der Erinnerung», 1914, 193 nachweislich bis ins Jahr 1921 gearbeitet.
Charakteristisch für die Komposition der Tunis-Aquarelle ist die lockere Aufteilung der Bildfläche in geometrische, aber nicht schematisch wirkende transparente Farbfelder. Die Skala erstreckt sich über den Bereich der Primär- und Sekundärfarben, deren Leuchtkraft beruht vor allem auf der Wirkung von Komplementärkontrasten (rot-grün, blau-orange, gelb-violett) beruht, die Klee nuanciert einsetzte.
Anhand der Aquarelle aus den Jahren 1914/1915 lässt sich der zunehmende Grad an Konstruktion und Abstraktion im Verlaufe der Tunisreise nachvollziehen. Noch zu Beginn hatte Klee selbstkritisch geschrieben: «Sofort ans Werk gegangen und im Araberviertel Aquarelle gemalt. Die Synthese Städtebauarchitektur – Bildarchitektur in Angriff genommen. Noch nicht rein, aber ganz reizvoll, etwas viel Reisestimmung und Reisebegeisterung dabei, eben das Ich. Das wird später schon noch sachlicher werden, wenn der schöne Rausch etwas verrauchen wird.»
Im Vergleich dazu sind Arbeiten wie «vor den Toren v. Kairuan», 1914, 216 oder «Landhäuser am Strand» von der Klärung der “Bildarchitektur” geprägt. Auch sie sind nicht vollständig abstrahiert, sondern tragen Spuren der Arbeit vor dem Motiv: So sind auf den Schmalseiten der Blattes jeweils noch die Leerstreifen der elastischen Haltebänder sichtbar, mit denen Klee das Papier auf den Malkasten spannte. Unterstützt wird der Eindruck der Gegenwärtigkeit durch sparsame Zeichen, die als Silhouetten auf gegenständliche und architektonische Motive verweisen.
Einen lebhaften Eindruck von der Reise der drei Malerkollegen vermitteln Klees Aufzeichnungen in den Tagebüchern, die in ihrer Mischung aus anekdotischer Erzählung, stimmungsvoller Schilderungen und poetischer Vertiefung den Charakter einer künstlerischen Selbstdarstellung haben.
Text: Michael Baumgartner
Leiter Sammlung, Ausstellungen, Forschung / Zentrum Paul Klee, Bern